28. Juni 2003

Walker Percy: Selbstinterview

1977 veröffentlichte Walker Percy ein Selbstinterview unter dem Titel "Questions They Never Asked Me". Leider wurde es nicht in den bei Naumann veröffentlichten Band "Ach, Sie sind katholisch?" mit Essays und einem Interview übernommen. Der Originaltext ist im Band "Signposts in a Strange Land" enthalten.

Die folgende Passage enthält einige meiner Walker Percy-Lieblingspassagen:

"Sind Sie nicht ein Katholik?
Ja.
Halten Sie sich für einen katholischen Schriftsteller?
Da ich Katholik und Schriftsteller bin, scheint zu folgen, daß ich ein katholischer Schriftsteller bin.
Was für eine Sorte Katholik sind Sie?
Ein schlechter.
Nein, ich meine: Sind Sie liberal oder konservativ?
Ich weiß nicht mehr, was diese Worte bedeuten.
Sind Sie ein dogmatischer Katholik oder ein aufgeschlossener Katholik?
Ich weiß auch nicht, was das bedeutet. Meinen Sie, ob ich an das Dogma glaube, das die Katholische Kirche zu glauben vorstellt?
Ja.
Ja.
Wie ist ein solcher Glaube in unserer Zeit möglich?
Was gibt es denn sonst?
Was meinen Sie mit: Was gibt es sonst? Es gibt Humanismus, Atheismus, Agnostizismus, Marxismus, Behaviorismus, Materialismus, Buddhismus, Islam, Sufismus, Astrologie, Okkultismus, Theosophie.
Das meine ich doch.
Von Judentum und Protestantismus ganz zu schweigen.
Nun, die würde ich mit der Katholischen Kirche in diesem ganzen, speziellen Jüdisch-Christlichen Ding unterbringen.
Das verstehe ich nicht. Würden Sie - zum Beispiel - den wissenschaftlichen Humanismus als vernünftige und ehrenwerte Alternative aussschließen?
Ja.
Warum?
Er ist nicht gut genug.
Warum nicht?
Dieses Lieben macht viel zu viel Ärger, ist viel zu seltsam, um an seinem Ende anzukommen und gefragt zu werden, was du dazu sagst, und antworten zu müssen: 'Wissenschaftlicher Humanismus'. Das reicht nicht. Eine armselige Aufführung. Das Leben ist ein Geheimnis, die Liebe ist eine Freude. Deshalb ist es ein Axiom für mich, daß man sich mit nicht weniger zufrieden geben sollte als mit dem unendlichen Geheimnis und der unendlichen Freude, d.h. Gott. Tatsächlich: Das fordere ich. Ich weigere mich, mich mit weniger zufrieden zu geben. Ich verstehe nicht, warum sich jemand mit weniger zufrieden geben sollte als Jakob, der Gott packte (grapped aholt) und ihn nicht eher gehen ließ, bis Gott sich zu erkennen gab und ihn segnete. (...)
Aber ist die Katholische Kirche nicht in einem üblen Durcheinander, tief gespalten, mit einer grauenhaft zugerichteten (barbarized) Liturgie und abnehmenden Berufungen.
Klar. Das ist ein Zeichen ihrer göttlichen Ursprünge, daß sie solche periodischen Katastrophen überlebt.
Sie handeln und reden nicht wie ein Christ. Sollen die Christen einander nicht lieben und gute Werke tun.
Ja.
Sie scheinen mit ihrem Nächsten nicht viel anfangen zu können oder viele gute Werke zu tun?
Stimmt. Ich habe seit Jahren kein gutes Werk getan.
Eigentlich - wenn ich offen sein darf - kommen Sie mir ziemlich negativ in ihrer Einstellung vor, kaltblütig, unnahbar, spöttisch, maßlos, mehr hingezogen zu den schönen Dingen dieser Welt als zu Gott.
Das stimmt.
Sie scheinen sogar eine gewisse Genugtuung aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu ziehen und eher die Drohung des Weltuntergangs zu genießen als den Weltfrieden, den alle Religionen suchen.
Stimmt.
Sie scheinen nicht viel mit ihren Mitchristen anfangen zu können, ganz zu schweigen von den Leuten des Ku-Klux-Klan und der ACLU (American Civil Liberty Union) , den Nordstaatlern und den Südstaatlern, den Frauenemanzipierern und denen, die dagegen sind, den Homosexuellen und den Anti-Homosexuellen, den Republikanern, Demokraten, Hippies, Anti-Hippies und Senioren.
Stimmt - obwohl, als Einzelne genommen, stellt sich heraus, daß sie mehr oder weniger so sind wie ich selbst, nämlich Sünder, und wir kommen gut miteinander aus.
Auch mit den Ku-Kluxern?
Sicher.
Wie erklären Sie sich Ihren Glauben?
Ich kann ihn nur als Geschenk von Gott erklären.
Warum sollte Ihnen Gott ein solches Geschenk machen, wo es andere gibt, die ihn mehr zu verdienen scheinen, weil sie ihrem Nächsten dienen?
Ich weiß nicht. Gott tut seltsame Dinge. Zum Beispiel hat er sich als einen seiner Heiligen in Nord-Syrien einen lokalen Spinner ausgesucht, der 37 Jahre auf der Spitze einer Säule verbrachte.
Wir reden nicht über Heilige.
Stimmt.
Wir reden über das, was Sie ein Geschenk nennen.
Soll ich es Ihnen erklären? Wie soll ich das wissen? Die einzige Antwort, die ich geben kann, ist, daß ich darum bat. Ja eigentlich: ihn verlangte. Für mich war es ein unerträglicher Zustand, mich selbst in diesem Leben und in diesem Zeitalter zu finden, das aus jeder Sicht eine Katastrophe ist, ohne ein Geschenk zu verlangen, daß der Beleidigung entspricht. Deshalb habe ich ihn verlangt. Zweifellos geht es andern anders.
Aber müsste der Glaube nicht irgendeine Beziehung zur Wahrheit, zu den Fakten haben?
Ja. Das ist es, was mich anzog: der ziemlich unverschämte Anspruch des Christentums, wahr zu sein, mit der Implikation, daß andere Religionen mehr oder weniger falsch sind.
Das glauben Sie?
Natürlich."

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