16. Juni 2003

In memoriam HC

Vor zwei Jahren, während eines Pfarrfestes, brachte ich einem der Nachbarn einen Kuchenteller vorbei, als kleine Entschädigung für zwei laute Abende und turbulente Tage.

Über eine Stunde saß ich damals bei diesem alten Ehepaar und hörte die Lebensgeschichte des 90jährigen Mannes: In Galizien geboren, verschlug es seine Familie nach dem 1. Weltkrieg ins Deutsche Reich. Schon früh begeisterte er sich für die nationalsozialistische "Sache" und wurde Mitglied der SA - mit einer zweistelligen Mitgliedsnummer. Nach dem "Röhm-Putsch" landete für kurze Zeit im Gefängnis, zog dann zu seinen Eltern nach Nordbayern und stand unter dauernder polizeilicher Unterwachung.

Ein paar Jahre später landete er endgültig im KZ - zuerst in Dachau, dann in Mauthausen. Nur noch 40 kg schwer, überlebte er den Mauthausener Todesmarsch im April 1945. Im Lager hatte er sich zum evangelischen Glauben seiner Kindheit bekehrt und wirkte in seiner Nachkriegsheimat eifrig mit beim Aufbau evangelischer Gemeinden für die vielen Flüchtlinge aus dem Osten.

Inzwischen gebrechlich und alt geworden, strahlte der alte Mann immer noch eine kindliche Freude am Glauben aus. Wenn ich je einem Menschen begegnet bin, der tief innen, von ganzem Herzen dankbar und demütig war, dann ihm. Hier war nicht nur ein Zeitzeuge, sondern ein Gotteszeuge des 20. Jahrhunderts, mit dem ganzen Elend seiner Zeit im Gepäck und (dennoch?) voll der Gegenwart des ANderen. GOttes.

Am vergangenen Samstag starb er mit 91 Jahren. Die Arme GOttes standen ihm offen, das weiß ich. Und ich und viele andere sind dankbar, daß er bei uns war.

Wie Alexander Solschenizyn in Matrjonas Hof schreibt: "Wir alle haben neben ihr gelebt und nicht begriffen, daß sie jene Gerechte war, ohne die, wie das Sprichwort sagt, kein Dorf bestehen kann. Und keine Stadt. Und nicht unser ganzes Land."

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