So sieht Chesterton die "Relikte aus der Zeit, in der es noch feste Gewißheiten gab" - ich nehme den Text so, wie ihn Hans Urs von Balthasar in "Katholisch: Aspekte des Mysterium" zitiert:
"Ich meine die ungeheuerlichen Kriege im Zusammenhang mit kleinen Fragen der Theologie, die Erdbeben der Erregung wegen einer Gebärde oder eines Wortes. Es handelt sich nur um Fingerbreite, aber die Breite eines Fingers ist alles, wenn das Ganze in der Waagschale liegt. Wenn man eine Idee abschwächt, wird gleich die andere machtvoll. Es war ja nicht ein Trüpplein Schafe, die der christliche Hirte zu lenken hatte, sondern eine Herde von Stieren und Tigern, von schrecklichen Idealen und gefährlichen Lehren – jede einzelne von ihnen stark genug, in eine falsche Religion umzuschlagen und die Welt zu verwüsten. Man erinnert sich, dass die Kirche besonders für gefährliche Ideen eintrat; sie war ein Löwenbändiger. Die Ideen von der Empfängnis durch den Heiligen Geist, vom Tod eines göttlichen Wesens, von der Sündenvergebung, der Erfüllung von Prophetien sind Ideen, die, wie leicht ersichtlich, im Nu in etwas Blasphemisches oder Verrücktes ausarten können. Ein Fehlgriff in der Definition und der Reigen wäre abgebrochen, alle Christbäume wären verdorrt, alle Ostereier zerschlagen...
In den ersten Zeiten warf sich die Kirche wild und feurig wie ein Schlachtroß in jeden Kampf; doch es ist äußerst unhistorisch, zu behaupten, sie sei wegen jeder Idee aus dem Häuschen geraten wie ein gewöhnlicher Fanatiker. Sie bog nach rechts und nach links, um gewaltige Hindernisse knapp zu umgehen. Sie ließ auf der einen Seite den mächtigen Klotz des Arianismus liegen, der unterstützt war von allen weltlichen Mächten, die das Christentum zu weltlich machen wollten. Im nächsten Augenblick schwenkte sie ab, um einen Orientalismus zu vermeiden, der es zu weltfern machen wollte. Es ist leicht, verrückt zu sein; leicht, ein Häretiker zu sein. Es ist immer leicht, die Welt überhandnehmen zu lassen; schwierig ist, selbst die Vorhand zu behalten. Es ist immer leicht, Modernist zu sein, wie es leicht ist, ein Snob zu sein. In irgendeine dieser offenen Fallen des Irrtums und der Übertretung zu geraten, die eine Modeströmung nach der andern dem Christentum auf seinen geschichtlichen Weg gelegt hatten – das wäre in der Tat leicht gewesen. Auf irgendeine Liebhaberei vom Gnostizismus bis zur Christian Science hereinzufallen, wäre nahe liegend und zahm gewesen.
Sie alle vermieden zu haben, ist ein wirbelndes Abenteuer; und in meiner Vision fliegt der himmlische Wagen donnernd durch die Jahrhunderte – die langweiligen Häresien straucheln und fallen der Länge nach zu Boden, die wilde Wahrheit aber hält sich schwankend aufrecht."
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