12. Februar 2007

Weiß ich denn, wer ich bin?

Manchmal gelingt es mir, aus meinem Stapel noch zu lesender Bücher eine passende Reiselektüre einzupacken, bei einer meiner ersten Berlinreisen z.B. "Vaterland" und im April 2001 in Brooklyn Paul Auster. Diesmal in Paris habe ich die Briefe des gebürtigen Parisers (rue Joubert 26 im 9. Arondissement) Georges Bernanos dabei.

Die folgenden beiden Absätze stammen aus einem Brief, den er 1933 an die Tochter eines Freundes schrieb:
"Auf Grund welchen Rechtes dringen Sie übrigens sosehr darauf, zu wissen, wer Sie sind? Das hat nicht die geringste Bedeutung. Weiß ich denn, wer ich bin? Es gibt Pflichten, die man erfüllen, Mühen, denen man sich unterziehen, Ungerechtigkeiten, die man erdulden muß. Es gibt vor allem Einbildungen, die man verlieren muß, und jene gewissen Amputationen, die nie ohne Gefahr eines Brandes abgehen. Schneiden wir also mutig und kühn. Lieber verstümmelt als verfault in den Tod.

Hören Sie auf Ihren alten Kumpan. Die Selbsterkenntnis, das schwöre ich Ihnen, ist die juckende Haut der Idioten. Ihr sanftes Genie ist, zu sein, was Sie sind, ohne es zu wissen oder daran zu denken, mit der köstlichen Naturfarbe, die ich so liebe, die eine Gnade Gottes ist. Ja, die sanfte Erbarmung Gottes ist in ihnen. Fordern Sie nicht von ihr, sich auszusprechen, zu rechtfertigen. Plagen Sie sie nicht mit Geschwätz und Diskussionen. Fenster zu, Türe zu, niemand hereinlassen, sie lächeln und beten lassen. Wenn sie weint, sagen Sie's niemand." (Georges Bernanos: Das sanfte Erbarmen/Die Geduld der Armen.- Freiburg: Johannes, 2006, S. 55)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Gut gewählt Ihre Lektüre!
........und nochmals vielen Dank dafür, daß Sie oftmals auf meine Rezensionen verweisen.
Pfr. G. A. Oblinger