5. April 2004

Gebildete aller Länder, vereinigt Euch!

Adieu, Karl Marx: Es sind nicht die Marginalisierten und Unterdrückten, die zurückschlagen, sagt Karsten Fischer (Das Projekt des Fundamentalismus, im März 2004-Merkur)

"Ein maßgeblicher Teil des Schreckens, den die Attentate vom 11. September 2001 nachhaltig verbreiten, resultiert aus der Furcht, daß ihnen eine internationale soziale Bewegung zugrunde liegen könnte, die gewaltsamen Protest gegen eine als ungerecht empfundene Weltwirtschaftsordnung artikuliert. Diese Befürchtung eines drohenden Armutsaufstandes dient regelmäßig als Argument für ein Umdenken im westlichen Wohlstandsmodell in Richtung verstärkter Entwicklungshilfe.

Diese Überlegungen beruhen jedoch insofern auf einem Irrtum, als sich fundamentalistische Eliten um so stärker provoziert und zu Terroranschlägen motiviert fühlen, je stärker die westlichen Wohlfahrtsgesellschaften entwicklungspolitisches Engagement zeigen, das den Fundamentalisten als kapitalistischer Imperialismus und als Hegemonie eines dekadenten Konsumismus erscheint.

Diese Vermutung einer besonderen Bedeutung sozialer Eliten für fundamentalistische Aktivitäten wird durch empirische Untersuchungen gestützt. So weiß man, daß der einflußreiche Chefideologe hinter Bin Laden, der Ägypter Ayman al-Zawahiri, aus einer wohlhabenden und gebildeten Kairoer Ärztefamilie stammt und als Chirurg der ägyptischen Armee arbeitete, bevor er 1980 nach Afghanistan ging. Allgemeiner belegt eine zwischen 1996 und 1999 durchgeführte Studie des Pakistani Nasra Hassan, der fast 250 Ausbilder und Angehörige von Selbstmordattentätern sowie gescheiterte Selbstmordattentäter befragt hat, daß es sich in der Regel um männliche Personen zwischen 18 und 38 Jahren handelt, von denen keiner ungebildet oder arm ist.

Auch eine Erhebung in der Westbank und im Gazastreifen durch das Palestinian Center for Policy and Survey Research hat ergeben, daß die Zustimmung zu Gewalt bis hin zu Selbstmordattentaten um so größer ist, je höher Bildungsstand und Lebensstandard sind. Und eine umfassende Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Gallup in den relevanten muslimischen Ländern aus dem Jahr 2002 hat ergeben, daß die Zustimmung zu dem Satz, Toleranz sei einer der drei wichtigsten Werte und den Kindern in der häuslichen Erziehung zu vermitteln, mit steigendem Bildungsgrad sinkt. Dschihadisten agieren nicht aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, ganz im Gegenteil."


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