In den letzten Wochen waren die "Korrekturen" von Jonathan Franzen meine Lektüre. Eine Kollegin hatte mich vorgewarnt: Ihr hatte das Buch so mißfallen, daß sie es nach ein paar Seiten weglegen musste. Mir wäre es beinahe genauso gegangen. Nach zwei-, dreihundert Seiten hatte ich das Gefühl, es mit einem Schriftsteller zu tun zu haben, der sich sadistisch am Striptease seiner Figuren weidet, der sie bloßstellt in all ihrer Gewöhnlichkeit und Boshaftigkeit, ihren Illusionen und Psychospielchen. Mit einem, der für sein Personal keine Liebe empfindet, sondern Antipathie und Widerwillen.
Dieser erste Eindruck verflüchtigte sich im weiteren Verlauf: Franzen schafft die Kurve, und wie er es bewerkstelligt, macht ihn zu dem großen Erzähler, der er ist.
Der Autor als der Allwissende und zugleich als der, der seine Figuren, seine Schöpfung groß sieht - und zwar so, daß er an ihrer Wirklichkeit, an ihrem Versagen und Scheitern nichts wegnimmt. So, daß er Perspektiven sieht, Kontexte, Augenblicke, in denen seine Figuren in einem hellen Licht scheinen, ja sogar ein wenig "Verklärung" erfahren. Das geschieht nicht immer in glanzvollen Passagen oder im Happy End; manchmal führt er sie an Kreuzungen und auf Kreuzwege. Manchmal zeigen sie im Scheitern, was in ihnen steckt.
30. Dezember 2010
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