Stellen Sie sich vor, Sie sind in ihrer Pfarrei (altes katholisches Herzland, städtisch geprägt, jedoch mit dörflichen Wurzeln) ehrenamtlich tätig. Sie erhalten zu Weihnachten eine kleines Geschenk als Anerkennung ihrer Tätigkeit. Beim Auspacken fällt Ihnen diese Engelsfigur entgegen:
Was denken Sie, nachdem Sie diesen Engel ca. 5 min betrachtet haben?
1. Schön, daß das Pfarreiteam sich bei mir und bei allen bedankt, die das Pfarreileben am Laufen halten.
2. Süüüß, richtig süüß. Ein bißchen kitschig, aber richtig süß.
3. War die Kirche nicht schon immer auch eine Heimat des Kitsches?
4. Ja, aber der Unterschied zwischen einem kitschigen Muttergottesbild wie diesem und dem hölzernen Schutzengel ist, daß das Engelchen gar nicht versucht, auf einen richtigen Engel hin durchsichtig zu sein und deshalb auch kaum dazu geeignet ist, unsere Gebete, unser Herz und unseren Verstand weiterzuleiten zu den Engeln, wie sie wirklich sind.
5. Sollten Schutzengel wirklich so aussehen, möchte ich keinen haben.
6. Aber sagte nicht schon Rilke: "Ein jeder Engel ist schrecklich"?
7. Wenn nach einem apokryphen Wort Benedikts XVI. "die Engel ... mindestens genauso verehrt werden [sollten] wie Maria", wäre dieses Geschenk nicht immerhin ein Anfang, Papstworte auch in dieser Pfarrei ernst zu nehmen?
8. Sie machen sich im Internet auf die Suche nach einem gescheiten Gebet zum Ihrem heiligen Schutzengel, bringen Van Morrison mit einem Antippen der Stop-Taste des Media Player zum Schweigen und beten folgendermaßen:
O heiliger Engel!
Du bist von meiner Geburt an mein Beschützer.
Dir übergebe ich heute mein Herz;
gib es meinem Heiland, dem es allein angehören soll.
Du bist mein Beschützer im Leben.
Sei auch mein Tröster im Tode!
Stärke meinen Glauben,
festige meine Hoffnung,
entzünde in mir die göttliche Liebe!
Erlange mir,
daß mich das vergangene Leben nicht ängstige,
das gegenwärtige nicht beunruhige,
das künftige nicht erschrecke!
Stärke mich im Todeskampf,
ermuntere mich zur Geduld;
erhalte mich im Frieden!
Erwirke mir die Gnade,
daß meine letzte Speise das Brot der Engel sei;
meine letzten Worte: Jesus, Maria, Josef;
mein letzter Atemzug ein Hauch der Liebe und
deine Gegenwart mein letzter Trost sei.
Amen. (Franz von Sales; Quelle)
30. Dezember 2007
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3 Kommentare:
7. Wenn nach einem apokryphen Wort Benedikts XVI. "die Engel ... mindestens genauso verehrt werden [sollten] wie Maria", wäre dieses Geschenk nicht immerhin ein Anfang, Papstworte auch in dieser Pfarrei ernst zu nehmen?"
Kann ich mir kaum vorstellen, daß er das sagte, da er in "Gott und die Welt" meinte, daß er sich trotz des Glaubens an die Engel eher an Gott direkt wendet.
Das aber nur nebenbei. Häßliches Engelbild, nebenbei. Daß man dicke Babyengel toppen kann, glaubt man kaum. Eigentlich schade, daß Engel mit der zeit so oft niedlich dargestellt wurden... da lobe ich mir doch die, wenn auch etwas sachliche Darstellung vom Engel des Opus Dei.
Einen letzten ironischen Schwenker erlaubst du mir aber noch: Ich denke, wenn ein Baby mit Flügeln oder so ein Ding auf mich zufliegen würde, würde ich es mit der Angst zu tun bekommen - also auch solche Engel müßten dann "Fürchte Dich nicht!" rufen.
Hi, Phil:
Wegen 7: Deswegen habe ich ja "apokryph" geschrieben - der Link gibt die dubiose Quelle an.
Ansonsten keine Probleme mit der Ironie. Absolut keine.
Stell Dir vor: Überm Feld von Betlehem hunderte, tausende von solchene blondbezopften Engeln und alle rufen/singen: Fürchtet Euch nicht! Heute ist Euch der Retter geboren! --> Wohl dem, der da nicht abhaut nach Ägypten und anderswo
Diese Überflutung mit Engeln hat etwas Gnadenloses. Im wahrsten Sinne des Wortes: sie macht uns von der Gnade (die die göttliche, übermenschliche Kraft seiner Liebe ist) los und versucht, uns an das Nichtige (leider auch an das Sentimentale, Kitschige und Geschmacklose) zu binden. Die Engel als machtvolle Kämpfer Gottes zu unserm Heil sind da schon lange nicht mehr im Blick. Wundern tut es einen nicht, wird doch das Gesicht des gegenwärtigen, westlichen Christentums ohnehin immer pausbäckiger und blondlockiger, sprich: harm- und bedeutungsloser. Und das im Herzland des westlichen Christentums. Kyrie eleison!
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