2. Februar 2007

Was ein Protestant so sieht

Aktuell lese ich das Buch "Zurück zur Religion", eins aus einer ganzen Gruppe von Neuerscheinungen, die sich mit der Renaissance der Religion in Deutschland befassen. Geschrieben hat es Johann Hinrich Claussen, evangelischer Propst in Hamburg und "künftiger Hauptpastor an St. Nicolai" (was etwas besonderes zu sein scheint, wo es überall steht).

Auch wenn man alles schon einmal gehört hat - vielleicht mit weniger protestantischer Skepsis und Zurückhaltung: Er ist ein guter Beobachter und kann spannend schreiben. Ziemlich sicher werde ich seine Art von Protestantismus anschließend nicht für die zukuftsträchtigste Ausprägung des Christentums halten, aber bis dahin ist es schon interessant, mit Pastorenaugen auf die eigene Kirche und auf ihr Umfeld zu schauen:
"Die katholische Kirche lebt nicht vom Wort allein, sondern vor allem auch vom Bild, das dieses Wort anschaulich werden läßt. Sie äußert sich nicht zuerst in individuellen Sprechakten, sondern in der gemeinschaftlichen Betrachtung des religiösen Kerns. Dies ist der öffentliche Gottesdienst. Er entfaltet bewußt visuelle Opulenz: in strahlenden Kirchenräumen, mit edlem Meßgeschirr und ausgesucht farbigen Gewändern. Priester vollziehen den Gottesdienst. Die Gemeinde genießt ihn betrachtend. Diese Teilnahme durch Zuschauen ist nicht, wie manche Protestanten meinen, gleichbedeutend mit Passivität. Das Zuschauen kann ebenso wie das Zuhören eine höchst konzentrierte seelische Aktivität sein. Auch durch das Auge können geistige Inhalte tief eindringen. Nicht selten wird das Zuschauen intensiver erlebt. Es ist weniger durch den Verstand eingeengt. Das Gefühl wird angesprochen, der Schönheitssinn geweckt, und eine Ahnung vom Geheimnis Gottes stellt sich ein, die sich nicht in Worte fassen läßt.

Die katholische Kirche ist grundsätzlich auf Sichtbarkeit angelegt. Doch wer kommt noch, um sich ihre Gottesdienste anzuschauen?" (S. 60f)

1 Kommentar:

Scipio hat gesagt…

Eben: Hörern. Zu sehen gibt es da nichts, laut Claussen.

Die Frage wäre jetzt: In wie weit ist Zuschauen und Zuhören aktiv oder passiv? Eine Frage, die für mich - und deshalb habe ich dieses Zitat herausgenommen - für unsere Liturgie relevant ist. Schauen als "eminent" aktiver Akt - das war Guardinis Perspektive aufs einfache Volk in Monreale.

Ein Gottesdienst, eine Kirche, in dem es nichts zu sehen bzw. zu schauen gibt, einer, in dem es nichts zu hören gibt, sondern indem es verlangt wird, daß wir auf jedes Wort genau achten und es gar noch verstehen (und der uns deshalb nur akustische Mangelkost und verständnismäßig Vorverdautes anzubieten wagt - den halte ich inzwischen für eine Zumutung - und eine gründliche Verfehlung dessen, was Liturgie sein soll.