Wenn eine Lokalzeitung wie die meine eine ganze Seite ihrer Wochenendbeilage christlicher Rock-, Pop- and Americana-Musik widmet, ist das erst einmal erfreulich, dann aber auch sehr aufschlußreich. Denn es sind die nebenbei fallenden Bemerkungen, die einiges über den Status des Christentums bei den schreibenden unter seinen Betrachtern verraten. (Der Text ist aktuell im Web zugänglich.)
Unser Redakteur reißt in zwei Sätzen die Neuentdeckung von Religion durch Rock-etc.-Stars an und empfiehlt anschließend die auch in diesem Blogs schon erwähnten CDs von Buddy Miller ("Universal united house of prayer"), Ben Harper & The Blind Boys of Alabama ("There will be a light"), Alison Krauss And The Union Station ("Lonely runs both ways") sowie "Consider the birds" von David Eugene Edwards alias Wovenhand. So weit, so gut.
Nun sind ja weder für AKUS und Ben Harper die religiösen Pfade neu, auch wenn es im Artikel so klingt:
Alison Krauss hat sich schon vor Jahren einen Traum erfüllt und mit der Cox Family ein ganzes, wunderschönes Gospelalbum aufgenommen; ihre Band Union Station hat mit Ron Block einen bekennenden Christen am Banjo; und Gitarrist Dan Tyminski kam auf seinem Solo-Album wie die meisten Bluegrasser ebenfalls nicht ohne Gospelsongs aus. Ben Harper wiederum wandelte bekanntermaßen des öfteren mit den Blind Boys in Gospelland umher.
Was aber sagt uns ein Satz wie:
"Dabei entdecken Rockmusiker tatsächlich Religion - und nutzen sie als Ausdrucksmöglichkeit für Gefühle."Rockmusiker mögen tatsächlich Religion entdecken, aber bestimmt nicht als optimale Ausdrucksmöglichkeit ihres sonstigen Gefühllebens. Daß mit Religion, mit christlicher Religion zumal, eine neue Dimension von Wirklichkeit ins eigene Leben tritt, daß - zumindest die christliche - Religion mit dem Anspruch daherkommt, der Alltagswirklichkeit ihren eigentlichen Kontext zu geben - anscheinend kein Faktor für einen deutschen Durchschnittsjournalisten. Daß die Erfahrung dieser neuen, umfassenden Wirklichkeit - auch GOtt genannt - zu ihrem eigenen Ausdruck drängt, zur Weitergabe als schlichtes Zeugnis oder als missionarisches Bekenntnis - unvorstellbar. Daß diese neuentdeckte Wirklichkeit sogar der vorhandenen Gefühlswelt ihren Platz zuweist, sie in Dienst nimmt, sie je nachdem bestätigt, zügelt, beseelt, umleitet, neu ausrichtet - unbekannt.
Wenn aber in dieser Sicht Religion kein kommunizierbarer und kommunikationswürdiger "Inhalt" mehr ist, dann bleibt anscheinend als Grund ihres plötzlichen Auftauchens in der U-Musik nur noch, daß sie als Vokabular für die Entschlüsselung und Übersetzung innerseelischer Erfahrungen herangezogen wird. Bist du verliebt: "O Jesus, how great to be in love!" Verlassen vom Partner - "Nobody knows the trouble I've seen." Zu spät dran - "We're gonna make it to the church on time"(B. Harper).
Im Arsenal der Religion finden sich Melodien und Worte für jede Stimmung - Worte, die sich nicht auf eine - für den Gläubigen - objektive Realität beziehen, sondern frei benutzbar sind für die Referenz auf: mich, den Musiker, oder mich, den Zuhörer.
Was stört mich noch? Natürlich ein Ausdruck wie:
"Eine zeitgemäß klingende, weil kritische Hymne zu Ehren des Herrn ist so entstanden..."Abgesehen, daß mir nicht recht klar ist, wo bei Ben Harper, auf den sich der Satz bezieht, das "Kritische" liegt - wo steht geschrieben, daß erst das "Kritische" zur "Zeitgemäßheit" qualifiziert? Und wenn schon "kritisch" - gegen wen oder was? Liege ich verkehrt an der Annahme, daß "kritisch" hier eher "religionskritisch" meint? Wie überhaupt "kritische Religiosität" vor allem "selbstkritisch" ist - ein "kritischer Journalist" aber weniger "selbstkritisch" als "kritisch gegen alles Etablierte"?
Zwei kleine Sätze nur - nebenhin gesprochen und damit Teil des beim Leser Vorausgesetzten, des vom Schreiber und seinem Idealleser nicht weiter Hinterfragten. Teil des Bildes von Religion in der deutschen Öffentlichkeit 2005. Wirklichkeitsfilter, gegen den christliche Musiker und Sänger wahrscheinlich eher vergebens ansingen - denn ihre Botschaft wird beim Empfänger neutralisiert. Die Fragezeichen werden genauso herauskorrigiert wie die Ausrufezeichen. Und übrig bleiben die Gefühle.
2 Kommentare:
Bedenke was Derrida zum Bekenntis schreibt: kuhn
Wie meinst Du das?
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