2. Mai 2006

Atheisten am Küchentisch
Brief Nr. 2 an die Großmutter meiner Söhne


Nicht die Hoffnung aufgeben - das hatte ich Dir und uns in meinem letzten Brief ans Herz gelegt.

Aber wie passt das zu dem Umgang, den Du, ich, die meisten von uns Christen alltäglich mit den Nicht-Glaubenden, mit den Nicht-mehr-Glaubenden um uns pflegen?

Natürlich gab es auch "früher", in der guten alten Zeit unseres tiefschwarzen, katholisch-praktizierenden Dorfes die Weniger-Gläubigen, die Nicht-Praktizierenden, einige Kirchenfeinde, eine Handvoll echter Atheisten. Doch letztlich waren auch sie - zusammen mit den paar "Evangelischen" - Teil eines katholisch-geprägten Organismus, mehr oder weniger auffällige Existenzen im Gewebe der dörflichen und selbstverständlich-religiösen Gesellschaft. Bis in die Jahre meiner Kindheit in den 60ern habe ich das noch so erlebt.

Doch dann kippte das Verhältnis, und nun stellen wir fest: Wir sind die Ausnahme. Wir, die Kirchgänger, die praktizierenden Katholiken, die altmodischen Gottgläubigen. Unsere Kollegen, unsere Freunde im Gesangverein, die Fußballmannschaft und die Parteigenossen - sie kommen offensichtlich ohne IHn aus. Brauchen nicht den Sonntagsgottesdienst. Suchen sich ein paar passende Gebote aus dem Zehnersortiment aus. Gehen zum Auftanken Joggen, Walken oder ins autogene Training.

Ganz normale Menschen sind sie geblieben, nicht schlechter, nicht besser als du und ich. Wie kämen wir dazu, die Nase zu rümpfen über ihren Unglauben? Sind sie nicht gar christlicher als wir? Gehören sie nicht zu denen, die "drinnen sind, wiewohl sie draußen zu sein scheinen"? Gute Menschen, gute Freunde. Wenn wir unseren Umgang nach seiner Religiosität auswählen wollten, wären wir allesamt einsam.

Gelegentlich mag dann die Frage kommen: Wozu glauben wir denn noch? Ist der bis vor kurzem noch heilsnotwendige Glaube nicht zur persönlichen Vorliebe mutiert, oder zum Hobby, das wir zwar gerne praktizieren, aber keinesfalls zum Prüfstein für ein gelingendes Leben machen? "Jedem das Seine" - in Glaubensfragen gilt das mehr als anderswo.

Bessere Menschen sind wir nicht als "sie" - Heuchler, Lügner, Geizhälse, Ehebrecher gibt es bei "ihnen" wie bei uns. Wie sollten wir davon eine Überlegenheit der Christen und des Christentums ableiten können?

Wir kennen die Wahrheit über Gott, die Welt, die Menschen, die "sie" nicht kennen? Ja, das wäre eine Antwort - wenn wir selber nur besser wüssten, woran wir glaubten. Oder wenn wir die Heilige Schrift - trotz aller Gerüchte wegen der neueren Bibelforschung - und die Kirche - trotz aller Menschlichkeiten und trotz des Mißtrauens gegenüber Papst und Bischöfen - für vertrauenswürdig hielten.

Jesus Christus ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben" - aber dürfen wir das noch so wörtlich nehmen? Wir lesen in der Zeitung und hören im Fernsehen, daß es gerade die strengen, fanatischen Religionen und ihre fundamentalistische Anhänger sind, die Mord, Totschlag, Unterdrückung über die Völker bringen. Toleranz ist angesagt - also setzen wir den Wahrheitsanspruch des Christentums in Klammern.

Wir haben uns und unseren Glauben also mit den Verhältnissen des alltäglichen Atheismus arrangiert. Um die Bekehrung des Fußballtorhüters der 1. Mannschaft, meines Chefs oder seiner Sekretärin, die neben Dir im Sopran singt, beten wir eher selten - schon um kein Überlegenheitsgefühl aufkommen zu lassen.

Georges Bernanos, ein französischer Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts, ließ einen Atheisten einmal in einer Predigt sagen:
"Schon der bloße Gedanke, daß Kameraden, Freunde, mit denen man getanzt hat, mit denen man Ski gelaufen ist und Bridge gespielt hat, daß diese vielleicht die ganze Ewigkeit verurteilt sind, mit den Zähnen zu knirschen und Gott zu fluchen - diese Vorstellung allein müßte einen Menschen doch verändern."
Aus dem Jahr 1938 stammt dieses Zitat, das uns heute kein Kamerad mehr vorhalten könnte - denn die ewige Verdammnis fürchten wir weder für ihn noch für uns, wenn wir ehrlich sind.

Nun aber - und da kommen wir auf T. und F. zurück - ist uns der Unglaube nahe gerückt, er sitzt mit uns am Tisch. Jetzt können wir ihn nicht mehr einfach neutralisieren. Deine Empörung, unser Schmerz sagen uns klar und deutlich, was der Glaube bedeutet - für uns und an sich: Es geht um uns, um unsere Existenz, ums Ganze.

Es ist eben doch nicht "egal, was einer glaubt - Hauptsache, er ist ein guter Mensch". Wir sagen das zwar hin und wieder, mögen das auch dann und wann glauben. Doch so ganz egal ist es uns in dem Fall von T. und F. eben nicht: Wir wünschen ihnen von ganzem Herzen, daß sie bald wieder glauben können. Wir hoffen, daß sie IHn wieder als das Herz aller Wirklichkeit, als den großen, liebenden Vater erkennen, der ER ist. Wir bitten und beten um das Geschenk das Glaubens - für die beiden und für uns (und vergessen auch nicht Chef, Sekretärin oder Torhüter).

Solange ER dieses Geschenk noch nicht gewährt (oder solange es noch nicht angenommen wird), sollten wenigstens wir immer wieder danken für das, was uns in die Wiege gelegt wurde und was wir - durch GOttes Gnade - bis hierher bewahren konnten: unseren Glauben.

Dann wären wir auch für das Festmahl gerüstet, das der Vater dem verlorenen und heimkehrenden Sohn auch heutzutage noch bereitet. Wir klagen dann nicht mehr über das Kalb, das für uns nicht geschlachtet wurde, stöhnen nicht über die Last, Katholik zu sein, schimpfen nicht über das Menschlich-allzu-Menschliche in der Kirche, sondern erkennen, daß wirklich alles, was SEin ist, auch unser ist (vgl. Lk 15, 31).

Wir wünschen, hoffen, erbitten, daß T., F. und all den andern um uns geschenkt wird, was ER uns schon längst, Tag für Tag, schenkt: "Du bist allezeit bei mir."

Jetzt aber Schluß - bis morgen,

Dein Schwiegersohn

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