"Eines Tages kam einer..."
Jesus zu einem überraschenden Besuch im Bildungshaus St. Hildegard in X. Von der Pforte wegen seiner Ähnlichkeit mit Jim Caviezel gleich erkannt, begrüßen ihn Rektor und Bildungsreferent und laden ihn zu einer Hausführung ein. Man schaut in die Kurssäle und Seminarräume, stört Yoga-, Ikebana- und Ikonenmalkurse. Jesus begrüßt freundlich und inkulturiert Referenten und Teilnehmer mit Handschlag, schenkt allen einen freundlichen Blick und eine heilende Berührung, fragt auch nach den Themen und Angeboten und interessiert sich sogar für das erwachsenenpädagogische Konzept und das neu eingeführte Qualitätsmanagement. Man lässt beim Rundgang auch das Reinigungs- und das Küchenpersonal nicht aus und lädt Ihn - es ist ja gleich zwölf - zum gemeinsamen Mittagessen - einem schmackhaften, einfachen, fast vegetarischen Mahl.
Jesus isst schweigsam, nach innen gekehrt, sagt aber nicht nein, als man ihm eine Kaminrunde zu einem Thema vorschlägt, das alle bewegt: "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts". Nach dem Nachtisch erhebt sich Jesus mit einem Murmeln der Entschuldigung - wohl um sich frisch zu machen.
Als Er nach 20 Minuten nicht wieder aufgetaucht ist, macht sich die Hausleitung auf die Suche durch Gruppen- und Werkräume, Kräutergarten und Verwaltungstrakt. Hat Er sich trotz der kinder- und seniorengerechten Ausschilderung in dem ehemaligen Kloster verlaufen?
Erfolglos und betreten steht die Hausleitung an der Pforte - da öffnet sich die Hauskapelle hinter ihnen. Jesus stutzt, geht dann ohne ein Wort mitten durch die kleine Gruppe in Richtung Ausgang, bleibt kurz am Infostand stehen, wischt ein paar Prospekte fast beiläufig auf den Boden, und tritt über die bunten Zettel nach draußen, in den grauen Nachmittag.
Eine Woche später übersetzt der Alttestamentler, der das Seminar über Martin Bubers Bibelübersetzung abhält, die Einträge im Fürbittbuch: "Muß ich nicht in dem sein, was meines Vaters ist? Wird der Menschensohn, wenn er wiederkommt, noch Glauben finden auf Erden?"
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5 Kommentare:
Lieber Scipio, wir (Pfarrer, Diakon und Haushälterin) erfreuen uns fast täglich an Ihren Einträgen. Einiges wurde auch schon in der Gemeindearbeit verwendet. Manchen Artikel in der Tagespost würden wir übersehen. Danke!
Vielen Dank!! Es freut und beruhigt mich, daß ich nicht nur destruktiv wirke, sondern offensichtlich auch er- und aufbaulich.
Als Gegenleistung bitte ich um ein gelegentliches Gebet, wenn's recht ist.
"...bleibt kurz am Infostand stehen, wischt ein paar Prospekte fast beiläufig auf den Boden, und tritt über die bunten Zettel nach draußen, in den grauen Nachmittag."
Das finde ich sehr schön beschrieben. Es erinnert mich an die Blumenmädchen bei der Fronleichnamsprozession.
Insgesamt sehr treffend beobachtet.
da war ich, glaube ich, auch gerade in so einer Einrichtung gewesen...
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