9. April 2003

Bagdad ist nicht Paris

In der Süddeutschen Zeitung von heute ein lesenswerter Artikel des Historikers Gerd Krumeich, der von Berufs wegen ein längeres Gedächtnis hat als die tagtäglichen Meinungserzeuger, die ohne große Zerknirschung hin und her rudern: Vom Blitzkrieg zum Dauervietnam zum absehbaren Ende zum zehnjährigen Guerillakrieg usw.

Seine von Selbstreflexion unterfütterte und deshalb schon vom Ton überzeugende Zwischenbilanz:

"Ist Bagdad Paris? Zwei Wochen haben wir in der Einschätzung geschwankt und manche Kommentare abgegeben, die sich später als doch nicht stichhaltig erwiesen. Heute scheint sicher zu sein, dass Bagdad nicht Paris ist oder Stalingrad oder Berlin 19145, weil der Widerstand zwar vorhanden aber nur relativ gering ist. In unserer Einschätzung hatten wir kommentierenden Historiker die Wahl: Ordnen wir die Aktualität der Geschichte unter oder verfahren wir wie Marc Bloch und lernen aus der Gegenwart für die Geschichte?

Die Dinge sind im Fluss. Wir beobachten die Erstürmung Bagdads, vergleichen sie mit Ereignissen vor 50 oder 100 Jahren – oder mit jenen von gestern. Am Sonntag und Montag hat sich gezeigt, dass Geschichte nicht dazu zwingt, sie zu wiederholen. Kein Straßen- , Häuser- und Kellerkampf: Nicht jeder Kanaldeckel wird zur Festung. Denn das Regime von Saddam Hussein hatte eben doch nicht jenen Rückhalt in der Bevölkerung, den es zu besitzen vorgab – und den der inzwischen leicht idiotisch anmutende Informationsminister täglich neu beschwört. Anders als Mao oder Fidel, die daraus ihre ursprüngliche Kraft schöpften, bewegen sich Saddams Garden nicht wie Fische im Wasser in der Bevölkerung. Die Garden sind unerschrockene und fanatische Kämpfer, aber sie sind Usurpatoren. Sie verteidigen Saddam und seine Goldpaläste und ihre eigenen Privilegien, aber sie sind nicht eins mit dem Volk. Nur so ist zu erklären, wie es den Amerikanern gelingen kann, die strategisch wichtigen Punkte Bagdads zu besetzen, Schneisen in die Stadt zu schlagen, aktiv vorzugehen und zugleich abzuwarten. Dies ist eine unerwartete, aber zweifellos wirksame Taktik. Sie wird gelingen, sie ist schon gelungen, anderenfalls wäre sie am ersten Tag gescheitert.
So brutal und überflüssig der amerikanische Krieg gegen den Irak ist: Der Test hat gezeigt, dass dieses Regime nur ein Gewaltregime war. In eine befestigte Großstadt Schneisen zu schlagen und abzuwarten, ist ein Konzept ohne historisches Beispiel und deshalb selbst historisch. Die Alliierten haben auf ihrem Weg Saddams Standbilder an Ketten gehängt und mit ihren Panzern umgerissen: Ein mythischer Akt und als solcher inszeniert. Und die Gegenkraft ist nicht erschienen, niemand hat sich formiert, um dieses Sakrileg zu sühnen. Das erwartete Zusammentreffen der Truppen von Angesicht zu Angesicht im Straßen-, Häuser- und Kellerkampf wird nicht stattfinden. Die Amerikaner, die in Bagdad nichts zu suchen haben außer Saddam und seinen Leuten, haben recht behalten gegenüber der Skepsis des historischen Vergleichs und können deshalb hoffentlich bald wieder nach Hause gehen."

Brutal - Ja. Überflüssig - (ein kleines, festes, aber nicht triumphierendes) Nein. Bald nach Hause - das wünschen sich nicht nur die Privates First Class.

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