28. November 2010

Bitte um einen Paradigmenwechsel von oben kommend

Immer wenn ich versuche, mangels praktikabler Alternativen mich von neuem unvoreingenommen und quasi amnesisch dem Novos Ordo Missae - so wie er in Deutschland gefeiert wird, zu öffnen, kommt es dicke.

Da verzichtet der Priester mal schnell auf seine ihm zukommenden Aufgaben und lässt den Diakon bis auf das eröffnende Kreuzzeichen, Tages-, Gaben-, Hoch- und Schlußgebet und den Segen alles andere sprechen. Da fragt man sich zum wiederholten Male, wieso man anscheinend der einzige ist, der nicht in Sekundenschnelle während einer Atempause des Kyrie in sich blicken, seine Schuld bereuen und um Vergebung bitten kann - denn um mich herum zuckt nichts. Da wundert man sich, wie tief zur Kommunion die den Thron des Erlösers bildenden Hände bei männlichen Jugendlichen sinken können: Gefühlt bis unter die Knie nämlich. Da hat man zu schaffen, vor lauter Banalisierung in Predigt und sonstigen freigestalteten Elementen die Ohren des Herzens für das Mysterium des je-und-immer-größeren GOTTES offen zu halten und nicht verzweifelt sich zu schwören, am nächsten Sonntag lieber eine Passage Balthasar, Ratzinger oder auch Rahner zur Homilie zu lesen (schön ins Gotteslob eingelegt, um das Ärgernis zu minimieren).

Und anderntags liest man bei P. Michael Schneider sj eine Passage, bei der einem die Augen aufgehen:

"Angelus A. Häußling OSB legt dar, daß statt des neueren Schlagwortes der Liturgiereform, gemeint ist die participatio actuosa, für die tridentinische Liturgiereform ein ganz anderes maßgebend war. Papst Pius V. betont im Promulgationsdekret des Tridentinischen Missale, dieses sei von sachkundigen Fachleuten reformiert worden ad pristinam sanctorum Patrum normam ac ritum. Während die Reformatoren der katholischen Kirche den rechten, Gott gemäßen Gottesdienst absprachen, war es erforderlich, gerade diesen wieder hervorzuheben und den Erweis einer ungebrochenen Tradition von den Ursprüngen an darzulegen, also seit der Zeit der Väter. Häußling fragt jedoch, welche 'Väter' sind die 'heiligen', deren Normen gelten soll[sic! Scipio]? Ganz anders sei der Ansatz der Liturgiekonstitution, die für Häußling als ein Dokument gilt, das in der Kirchengeschichte bisher ohne Vergleich ist; sie bildet die Korrektur rund eines Jahrtausends Frömmigkeits- und Liturgiegeschichte der abendländischen Christenheit. Die kopernikanische Wende im Liturgieverständnis besteht nach Häußling in der aktiven Teilnahme (participatio actuosa) aller Gläubigen als liturgieprüfendem Kriterium; sie bedeute eine anthropologische Wende, nämlich die Zuwendung zum Menschen als dem Subjekt der Liturgie. Weil die nordatlantische Gesellschaft faktisch in einer atheistischen Umwelt lebt, meint Häußling, daß der Gottesdienst für den Menschen von heute eine kul­turelle Verhaltensanomalie darstellt; um den Menschen nicht ständig religiös und liturgisch zu überfordern, müßte die Liturgie um des Subjekts der Liturgie selbst wil­len reduziert werden. Die Liturgiereform des II. Vatikanum leitet nach Häußling eine neue Ära ein, sie will nicht mehr das liturgische Ritual perfektionieren nach den althergebrachten Normen der heiligen Väter, sondern einen grundsätzlichen und radikal neuen Paradigmenwechsel, der mit dem Kriterium der tätigen Teilnahme als liturgieprüfendem Kriterium gegeben ist, heraufführen."

Ja mei, im Gegensatz zum Benediktiner Häußling lebe ich die ganze Woche in dieser nordatlantischen, quasi-atheistischen Umwelt. Ich gehe nicht in die Kirche, weil mir die Zuwendung zu mir selber fehlt, oder weil ich kontaktarm wäre. Ich gehe dahin in der Hoffnung, daß da, wenigstens da, einmal GOTT im Mittelpunkt steht. Daß mein Befinden und das meiner Mitteilnehmer einmal nicht kümmert. Daß ich mich und die ganze Chose vergessen kann, mich selbstvergessen hingeben kann. Daß ich vielleicht ab und an auch emotional den Zipfel des Gewandes Christi zu fassen bekomme. Ich habe Nullbock, daß mir jetzt als Paradigmenwechsel verkauft wird, was ich mit vielen anderen satt habe.

Könnt Ihr mir, liebe Liturgiereformer und Reformadepten, liebe Zelebranten und sonstwie nach eigenem Gusto hyperaktiv Partizipierenden, könnt Ihr mir nicht diese eine Stunde in der Woche gönnen und einfach: zurücktreten, das Maul halten, GOTT da sein lassen, SEINE Gegenwart feiern und sich ereignen lassen, so wie im Saal des Gründonnerstags, wie auf Golgotha und wie am Ostermorgen?

Versteht mich recht: Ich bin für liturgischen Paradigmenwechsel. Aber für einen, der noch radikaler ist: Nicht Eure liturgiewissenschaftlichen Theorien, nicht Eure längst überholten Anthropologien, nicht Eure wechselnden Psychotheorien will ich abbekommen. Sondern IHN. Den EINEN. Den DREI. Das A und das O.

Und wenn ich irgendwie partizipieren, teil-nehmen, teil-bekommen will, dann an IHM.

Ist das zu viel verlangt???

9 Kommentare:

FingO hat gesagt…

Ich wollte einen sehr scharfen Artikel schreiben, da fiel mir ein, daß Sanftmut eine Tugend ist. Und so sage ich einfach zu Dir und jedem Lesenden, der mal wieder in einer schlechten Neuen Messe war oder spirituell in einer Alten Messe bedient wurde. Ein Herrenwort, was auch Teilweise als "Motto" des Konzils genutzt wurde:

Effata.

So, und das geb ich jetzt zum meditieren, denn ich werde nicht an einem Thread "Alt vs Neu" mehr als nötig teilnehmen, es ist nicht grundlos, daß ich nichts mehr auf meinem Weblog über die Ritusfrage schreibe. Für Anfragen bin ich, wenn, dann via Mail erreichbar.

Liebe Grüße und Gottes Segen

Phil

Rosenkranz-Atelier hat gesagt…

100% Zustimmung!

Elsa hat gesagt…

Phil, du bist so fixiert auf deine ewige Alt vs Neu Geschichte, dass du völlig übersiehst, dass es Scipio gar nicht um Alt vs Neu geht sondern um eine GESCHEIT gefeierte Messe, egal in welcher Form, vorzugsweise in der neuen, die er selbst gerne und vermutlich hauptsächlich besucht.

Scipio hat gesagt…

In der Tat ging es mir nicht um den Gegensatz oder um die Vorzüge der einen (alten) vor der anderen (neuen) Form, sondern um die Art und Weise, wie die neue Form (die einzige, die ich gut kenne und die mir "zur Verfügung" steht) üblicherweise gefeiert wird. Und die hat imho in der Tat etwas mit dem Häußlingschen Paradigmenwechsel zu tun. Oder um's mit den Soziologen zu sagen: Selbst wenn der Paradigmenwechsel nur eingebildet ist, hat er doch seine Wirkung.

Oder noch einmal anders: Das, was ich hier mit meinen gestrigen Erfahrungen zu beschreiben versuche, ist wohl immer eine Versuchung. Aber in der neuen Form ist sie tatsächlich größer. Und nach vierzig Jahren weitverbreiteter liturgischer Wurstigkeit ist es in vielen Gegenden der Standard. Ich weiß, daß Du das Glück hast, "gescheite" (Elsa) Heilige Messen zu besuchen und ich freue mich für Dich. Und es zeigt mir: Ja, es geht. Aber bei mir sieht es anders aus. Und ab und an nehme ich mir das Recht, öffentlich zu verzweifeln. Vielleicht liest es ja mal ein Liturgiewissenschaftler und merkt, daß die Bemerkungen nicht von einem fundamentalistischen Tradi kommen, sondern von einem, naja, sagen wir: nachdenklichen bis kritischen Konzilskind, das sein ganzes Leben lang katholisch war.

Elsa hat gesagt…

Bei den meisten sieht es anders aus und das ist einfach empirischer Fakt. Könnte ich wie ich wollte, würde ich stets Papstmessen im NO besuchen. Das, was mir traurigerweise übrig bleibt, könnte mich aber evtl. dazu bringen, stets Alte Messe bei den Francescani zu besuchen. Man könnte mir dabei helfen - indem man mir sowohl in Deutschland wie in Italien einfach mal eine egal welche Messe serviert, die den Kriterien wie den von Scipio genannten entspricht. Es ist mir @ PHIL: WURSCHTEGAL, in welcher Form, Hauptsache ich komme dazu wie Scipio beschrieb, mich auf was anderes ausrichten zu dürfen. Herrgott! So schwer kann das doch nicht zu kapieren sein!

Anonym hat gesagt…

Die loesung ist doch ganz einfach: wenn man in eienr sackgasse steckt gibts nur einen weg und der heisst zurueck auf die strasse, also weg mit dem als falsch erkannten paradigma. Herr haeussling erkennt sehr wohl richtig, dass der novus ordo diesem neuen und von scipio zurecht als falsch erkannten paradigma unterliegt. Damit ist er unrettbar. Weg damit. Verlangen sie inihrer gemeinde einfach nach der alten messe.

Anonym hat gesagt…

Uebrigens bin ich weder fundi, noch konzilskind (absit omen!) Fuers konzil bin ich gott sei dank zujung und fuer fundi zu anarchisch. Aber mein leben lang katholisch, das bin ich. Deshalb ertrage ich den novus ordo auch nicht mehr,seitdemich den alten ritus kennengelernt habe. Nicht einmal, wenn er vom papst benutzt wird. Pardon uebrigens fuer die orthographie- ich bin am blackberry.

Johannes hat gesagt…

Wenn Ihr alle DAS BUCH gelesen habt, wird Euch sicher diese Stelle nicht entgangen sein:
"Ich habe die vorangegangene Form (der Liturgie) vor allem deshalb besser zugänglich machen wollen, damit der innere Zusammenhang der Kirchengeschichte erhalten bleibt. Wir können nicht sagen: vorher war alles verkehrt, jetzt ist alles richtig; denn in einer Gemeinschaft, in der das Beten und die Eucharistie das Allerwichtigste sind, kann nicht etwas ganz verkehrt sein, was früher das Allerheiligste war."
Also durchaus kein Zugeständnis an die Piusbruderschaft sondern die Absicht die Hermeneutik der Kontinuität gewissermaßen zu demonstrieren.. In Papstmessen - auch dies begründet Benedikt XVI in seinem Interview - ist andererseits die Handkommunion abgeschafft. Grund: die höhere Gefahr der Entweihung der heiligen Gestalten und die Geste der ehrfurchtsvollen Verehrung. So funktioniert das in päpstlicher Weise. Suaviter in modo, fortiter in re.

Wolfram hat gesagt…

Ob "alt" oder "neu", lingua franca oder lingua populi: da liegt das Problem meiner Ansicht nach nicht - jedenfalls nicht, wenn man Latein kann.
Sondern vielmehr, ob die Zelebranten den "Geist der Liturgie" atmen, jenes Ceremoniales, das uns vorbereitet auf und hinführt in die Begegnung mit dem Christus in Wort und Sakrament, und das uns dann als Zeugen desselben Christus wieder hinausschickt in die Welt. Wenn sie diesen Geist nicht atmen, die Liturgie nicht leben, wird alles Gottesdiensteln nur Herunterleiern bleiben, gleich ob sie die Texte des Tridentinums verwenden oder die der konziliaren Reform oder das, was irgend einem poetischen Menschen irgendwann einmal eingefallen ist.
Bist du dir gewahr, daß du Priester bist, Fürsprecher der Gemeinde vor Gott, und Prophet, Stimme Gottes vor der Gemeinde? Ein wahrhaft tönernes Gefäß, durch das sich der Geist ergießen will?
Wer das nicht mit "Ja, Gott helfe mir" beantworten kann, wird immer nur seichte Rede von sich geben können.