28. November 2002

Glauben und sehen. Wie das zusammenhängt, lässt sich bei den Blind Boys of Alabama hören. Gospel war bisher nie mein Ding, vielleicht weil ich nur das Golden Gate Quartet von seinen Auftritten im deutschen 70er Jahre-Fernsehen kannte und weder Mahalia Jackson noch Aretha Franklin besonders spannend klangen. Auf dem Country-Sampler "Beyond Nashville" entdeckte ich die Blind Boys mit ihrem "Running on for a long time" und von diesem Sprungbrett ihre letzten CDs Spirit of the Century und Higher Ground. Praise the Lord!

Mit DSL lassen sie sich auch im House of Blues bewundern!

Gospel

"Praise the Lord and pass the biscuits! The House of Blues Gospel Brunch features inspiring gospel performances and an amazing buffet to feed the body and the soul."

27. November 2002

"Dominus Jesus" ist der Leitspruch des neuen Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller. So was von politisch inkorrekt. Es wird Zeit, daß das Volk die Bischöfe mitwählen darf... Was, das ist ein Bibelzitat? Von Paulus? Wird Zeit, daß wir die Bibel überarbeiten, manches weglassen, manches ändern. Vielleicht auch ein bißchen mehr feministischen Touch einbringen: "Jesus Domina".

Spaß beiseite. Hier der Ausschnitt aus dem Bericht von Guido Horst in der Tagespost:
„Dominus Jesus. So haben sich die Apostel in der Urkirche zu Jesus bekannt: ,Jesus ist der Herr‘ – Iesous kyrios estin – Dominus Iesus (Röm 10, 9)“, sagte Müller. Schon am Anfang der Bundesgeschichte habe sich Gott seinem Volk am Sinai als Herr offenbart. „Dieses Gottesbekenntnis Israels“, so der Bischof weiter, „verendgültigt sich im Höhepunkt der Selbstoffenbarung Gottes, der seinen Sohn als Herren der Kirche und Haupt der ganzen Menschheit einsetzt: ,Dominus Iesus‘ ist von nun an und für immer Kern des Glaubens des Gottesvolkes, zu dem alle Menschen berufen sind. Was die Kirche zusammenhält, ist das Bekenntnis: ,Gepriesen ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus‘ (Eph 1, 3). Angefochten von innen und bekämpft von außen besteht die Kirche seit zweitausend Jahren. Und keiner wird je ihr Fundament erschüttern können. Die tausend Gründe, die gegen das Christsein angeführt werden, wiegen den einen Grund nicht auf, der dafür spricht: Jesus von Nazareth. Er allein ist der Herr.“
Danke, Herr Bischof, und Gottes Segen!
Schon interessant: Ein Blick ins deutsche Land zeigt, daß oft die Nicht-/Noch-nicht-Glaubenden statt vier inzwischen sechs bis acht Wochen Advent begehen. Jedenfalls nach der Außendekoration ihrer Häuser zu schließen. Der Trend bei den Katholiken ist ebenfalls steigend. Von einer guten Sache kann nie zu viel bekommen, oder?

Beruhigend, daß der virtuelle Adventkalender des Erzbistums Köln noch nicht freigeschaltet ist.
Adventkalender

26. November 2002

Die Süddeutsche schreibt heute : "Kritik übte der Synodale und bayerische Innenminister Günther Beckstein am Umgang der Landeskirche mit Spätaussiedlern. Deren Zahl sei in Bayern zehn Mal so hoch wie die der Asylbewerber. Vor allem Spätaussiedler aus Russland seien häufig evangelisch, doch die Kirche kümmere sich „fast nicht“ um sie, rügte Beckstein. Es sei eine große Aufgabe der Kirche, diese Menschen offensiv anzusprechen und aufzunehmen."
Ähnlich habe ich es letzthin in einer nordeutschen Vorstadtpfarrei erlebt, deren modernes, liberales, intellektuelles Profil sich verändert: Ein großer Teil der Gottesdienstbesucher sind inzwischen Aussiedler und Umsiedler aus Rußland und Kasachstan, die mit den ehemals blühenden Aktivitäten (3.Welt-Gruppen, Ökumene, Diskussionsabende zur üblichen postkonziliaren/deutsch-katholischen Agenda) wenig anfangen können und wollen. Hier kommen die Traditionsbewahrer plötzlich von links, und das Volk steht rechts. Im Gespräch mit liberalkatholischen Freunden stellt man nur Ratlosigkeit fest.
Für mich ist das eine Ost-West-Version dessen, was Philip Jenkins als Nord-Süd-Konflikt prophezeit.

25. November 2002

Eigentlich müsste Jesus Christus der Skandal sein, an dem sich Nicht- und Noch-nicht-Glaubende reiben. Aber meistens sind wir es. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Können wir verlangen, daß andere uns übersehen und ihren Blick auf die "unsichtbare Welt" richten? Wir sind der Brief Gottes, und der muss wenigstens lesbar sein - damit er - in einem zweiten Schritt - verstanden werden kann.
Der Verweis auf die Heiligen - ein schwacher Versuch. Viele waren zu Lebzeiten schon umstritten - wie sollten sie jetzt jeden überzeugen?
Na, wenigstens ein sinnvoller Satz in Harry Potter and the Chamber of Secrets... Steven D. Greydanus zitiert Direktor Albus Dumbledore: "It is not our abilities that show what we truly are, it is our choices."
Ich denke, noch genauer sagt es Flannery O'Connor , die in Wise Blood schreibt: "Does one's integrity ever lie in what he is not able to do? I think that usually it does, for free will does not mean one will, but many wills conflicting in one man." Es gibt Dinge, die wir nur tun, indem wir uns, unsere Bestimmung, unseren Wesenskern verleugnen. Da geht es nicht um die Realisierung von Möglichkeiten oder um Selbstverwirklichung, sondern um etwas Grundlegenderes: um den Verlust des heilen Restes, den wir aus Eden in uns tragen.

21. November 2002

Ich bin ganz zufrieden mit meinem Da- und So-sein; in guten Momenten fällt mir die Dankbarkeit leicht. Cyborg-Fantasien überkommen mich eher weniger.
Dabei wäre ich doch ein
Synthetic Cybernetic Individual Programmed for Infiltration and Observation

Observation ist nicht schlecht. Passt zum Weblog-Titel.

Try it out yourself!

Noch eine Lesefrucht aus den Aufzeichnungen von Vater Alexander Schmemann: Er zitiert Julien Green: "Ohne Kommunion verändert sich das Leben, und der Glaube geht verloren. Fast ausnahmslos ist das der Fall." (S. 37)
Am Mittwoch unvorbereitet in die Messe gegangen und von der Lesung voll getroffen: Offenbarung 4, 1-11: Am Himmel eine offene Tür sehen, eine Posaunenstimme hören, auf einem Thron einer wie ein Jaspis und ein Karneol, die 24 goldbekränzten Ältesten; Donner, Blitze und dazwischen (ja wohl laute?) Stimmen; dazu die sieben Flammen und das Kristallmeer. Ich stellte mir die vier Wesen vor, Löwe, Stier, Mensch, Adler, über und über mit Augen bedeckt. Dann die Rufe an Gott.

"WÜRDIG BIST DU, UNSER HERR UND GOTT,
HERRLICHKEIT ZU EMPFANGEN UND EHRE UND MACHT.
DENN DU BIST ES, DER DIE WELT ERSCHAFFEN HAT,
DURCH DEINEN WILLEN WAR SIE UND WURDE SIE ERSCHAFFEN."

Ich dachte mir: Jetzt am besten nicht interpretieren, verstehen wollen, auf meinen Verstand reduzieren - sondern einfach nur sehen, hören, dabeisein.
Aber dann war die Lesung um, und 2 sec später setzte die Orgel zu einem netten Lied an.

20. November 2002

Den Sinn für Gut und Böse verwirrt laut Gabriele Kuby Harry Potter. Ich mag ihr da nicht so ganz zustimmen. Mein Leib- und Magenblatt First Things hielt im Januar 2000 mit Alan Jacobs : Harry Potter's Magic dagegen, u.a. mit dem Satz: "Christians are perhaps right to be wary of an overly positive portrayal of magic, but the Harry Potter books don’t do that: in them magic is often fun, often surprising and exciting, but also always potentially dangerous."
Pavel Florenskij, großer Theologe der Orthodoxie:
"'Jetzt glaube ich und hoffe das zu begreifen, woran ich glaube. Jetzt werde ich das Unendliche und Ewige nicht in ein Endliches und Zeitliches verwandeln, die höhere Einheit wird bei mir nicht in unvereinbare Momente zerfallen. Jetzt sehe ich, daß mein Glaube ein Quell höheren Begreifens ist, und daß in ihm der Verstand seine Tiefe erhält.' Und indem ich von der erlebten Mühsal ausruhe, wiederhole ich gelassen nach Anselm von Canterbury: 'Credo ut intelligam. Zuerst schien es mir, daß ich etwas wüßte; nach dem Umschwung begann ich zu glauben. Jetzt aber weiß ich, weil ich glaube.'"

19. November 2002

Graceland is Graceland is Graceland is not Graceland is more than Graceland

"I'm going to Graceland
Poorboys and pilgrims with families
And we are going to Graceland ..."

Und dann die Artistin aus NYC, die sich "Das Menschliche Trampolin" nennt. Wenn man dann fällt, schleudert, aus der Kurve gerät, weiß man, was sie meint: "We're bouncing into Graceland" (Paul Simon).
Noch eine Anmerkung zu Florian Illies:
Wahrscheinlich biedern sich die Christen mit Grönemeyer-Liturgien etc. nicht ihren Zeitgenossen an; der Hauptzweck dieser Übungen könnte doch der sein, daß sich die Christen nicht mehr so unzeitgemäß, unmodern, vorgestrig ... vorkommen. Es ist also keine Marketingmaßnahme, sondern eine, mit der die eigenen Leute bei der Stange gehalten werden sollen. Wir wissen, mit wenig Erfolg; denn auch die fangen irgendwann an zu fragen, warum sie Grönemeyer unbedingt in der Kirche hören müssen.

18. November 2002

Am Samstag in der FAZ: Der Kommentar zu den Kuschel-Kirchen von Florian Illies. Lesenswert, aber leider ohne dauerhaften Link...
Illies' Punkte:

  • Deutschland das einzige Land, das seine Kirchen in so schlechtem Ansehen hält.
  • Die Deutschen haben große Erwartungen an ihre Kirchen - die aber wohl "niederschmetternd" enttäuscht werden.
  • Bischöfe und Synoden, die sich wegducken, "bloß kein Bekenntnis aufblitzen" lassen, denen bei der Morgenandacht Herbert Grönemeyer reicht.
  • Eine Referenz zu The Next Christianity von Philip Jenkins im Atlantic Monthly vom Oktober. Zitat Illies (auch als Einladung, bei Jenkins nachzulesen): "In einem spektakulären Aufsatz für die Oktoberausgabe von "Atlantic Monthly" hat Philip Jenkins gezeigt, wie naiv die Überzeugung der europäischen Kirchen ist, daß sich ihre Zukunft nur durch eine immer größere Liberalität garantieren lasse. Jenkins skizziert, daß das einundzwanzigste Jahrhundert keineswegs nur wegen der Bedrohung des Islam zu dem Jahrhundert werden wird, in dem die umstürzendste Kraft nicht mehr die Ideologie ist, sondern die Religion. Er prophezeit, wie sich die müde gewordenen Amtskirchen der westlichen Demokratien einer bald eine Milliarde umfassenden Christenheit aus der Dritten Welt gegenübersehen, die mit einer ungeheuren Vitalität und Authentizität eine Neudefinition des Christentums fordern werden, die in ihrer Wucht nur mit der Reformation vergleichbar sei."
  • Die (ironische?) Hoffnung, daß McKinsey nicht nur auf die Kirchenfinanzen schaut, sondern vielleicht auch weitersagt, daß "für ein erfolgreiches Überleben nichts wichtiger ist als die Unterscheidbarkeit und die Konzentration auf die eigenen Werte und 'intangible assets'. Die Kirchen haben dabei ein ungeheures Alleinstellungsmerkmal: die Kraft des Glaubens. Doch diese Kraft wird nur sichtbar, wenn sie selbstbewußt und mutig artikuliert wird - und nicht immer auf den Applaus der Konsensgesellschaft hofft. Es gibt viele, die in ihrer religiösen Sehnsucht aufgefangen werden wollen, die sich orientieren wollen an mutigen Widerworten und die ihre Kinder auf Konfessionsschulen schicken, weil sie dort auf eine Wertevermittlung hoffen, die das staatliche Schulsystem nicht mehr leistet. Niemand möchte nach den alljährlichen gutgebräunten Bekenntnissen der deutschen Fernsehprominenz in 'Bunte' nun auch noch von einem deutschen Kardinal wissen, wo er seinen Sommerurlaub verbringt. Und niemand kommt in eine Morgenandacht, um Herbert Grönemeyer zu lauschen, den er zuvor schon die ganze Zeit im Autoradio gehört hat."

17. November 2002

Zum Tagesevangelium des Sonntags (die vergrabenen und eingesetzten Talente) erinnerte ich mich an einen Text von Georges Bernanos:
»Den ganzen Einsatz seiner selbst leisten! Es ist kein Geheimnis, daß die meisten von uns im Leben nur einen schwachen, geringen, lächerlich kleinen Teil ihrer selbst einsetzen, wie jene reichen Geizhälse, die einst angeblich nur das Einkommen ihres Einkommens verbrauchten. Ein Heiliger lebt nicht vom Einkommen seines Einkommens, nicht einmal bloß von seinem Einkommen, er lebt von seinem Kapital, er setzt seine Seele bis zum Grund ein. (...) Man fragt sich mit Schrecken, ob nicht eine Unzahl von Menschen geboren werden, leben und sterben, ohne auch nur ein einziges Mal von ihrer Seele Gebrauch gemacht zu haben, und wäre es bloß, um den lieben Gott zu beleidigen? ... Ist vielleicht die Verdammnis dies: zu spät, nach dem Tod, eine völlig ungebrauchte Seele zu entdecken, noch sorgfältig gefaltet und doch verdorben, wie gewisse, kostbare Seidenstoffe, die nie benützt worden sind? Wer immer seine Seele verwendet, so ungeschickt es auch sein mag, nimmt alsbald am universalen Leben teil, tritt ebenen Fußes sogleich in die Kommunion der Heiligen ein, zu der alle Menschen guten Willens gehören, denen der Friede verheißen ist; in die unsichtbare Kirche, zu der bekanntlich auch Heiden, Häretiker, Schismatiker und Ungläubige gehören, deren Namen Gott allein kennt.« (findet sich in der großen Bernanos-Biographie von Hans Urs von Balthasar auf S. 203 ff)
Es wird mehr Freude im Himmel über einen Sünder sein, der umkehrt, als über 99 Gerechte! Dann war letzthin Feiertag dort oben, und die Engel hatten Grund zu tanzen.

15. November 2002

Noch einmal zur Post-Dallas-Situation in der U.S.-Kirche.

Richard J. Neuhaus im November-Heft von First Things:
"Ein Bischof, für den ich großen Respekt empfinde, sagt mir: 'Natürlich wird es [in der Folge der Beschlüsse der Bischofskonferenz in Dallas; scipio] Ungerechtigkeiten geben, aber das ist Teil des Preises, den wir zu zahlen haben. Wir haben in diesem Jahr, in unserer Einstellung und unserer Praxis gelernt, daß wir nachlässig und gleichgültig waren, und daß wir es zuließen, daß schreckliche Dinge geschahen. Wir müssen gestraft werden.' Darin ist etwas Wahres. Aber es sind nicht die Bischöfe, die gestraft werden. Das Versagen in der Vergangenheit, ihre Priester zu disziplinieren, wird nicht geheilt durch das Versäumnis, jetzt für sie zu sorgen, wenigstens bis zu dem Grad, daß sie ihnen ein Maß an Gerechtigkeit und Fair Play sichern."
Neuhaus konstatiert aber auch in der dortigen Kirche eine tiefe Nüchternheit, das Wissen, daß "after repentance, almost anything can happen." und eine neue Aufmerksamkeit "to a better, holier, more challenging, more exciting way of being the Catholic Church in America".

Leser, verweile und bete.
Am Morgen bei Regen und schlechter Sicht unterwegs auf der Autobahn, gleichzeitig mit hunderten anderen von Gott Geliebten.
Lukas: "Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes."
Irgendwo las ich gestern ein paar Zeilen über Lichtverschmutzung, die eigentlich besser Nachtverschmutzung heißen sollte. Zu viele Lichter in der Nacht - nicht nur Beamer über Diskotheken, sondern Straßenlampen, Autoscheinwerfer, helle Fenster - machen die Nacht für manche Tierarten "hell wie den Tag" (wie es in den Psalmen heißt). Wenn es so weitergehe, würde man in 10 oder 20 Jahren in Italien nur noch 2 Sterne sehen könne. In Tschechien gibt es anscheinend schon eine Verordnung gegen unabgeblendete Lampen im Freien...
Gut, daß es in Bethlehem so dunkel war.

13. November 2002

Götzenverehrung ganz anderer Art: Why you should fall to your knees and worship a librarian.
(Danke, dear Shifted Librarian!)

12. November 2002

Schlimmer konnte es nicht kommen: Unbeliebter als die Telekom sind die Kirchen in Deutschland... Nun machen sich wahrscheinlich bezahlte Kommissionen und Unterkommissionen daran, die Kirchen wieder beliebter zu machen. Und das dürfte bedeuten: noch ununterscheidbarer.

Konkret kleidet sich diese Tendenz z.B. in netten Worten wie im folgenden Bericht aus meiner Heimatgemeinde:
"Bevor [der übrigens gut katholische!] 1. Bürgermeister N.N. das Wort an die Pfarrer A., B. und C. zum geistlichen Impuls erteilte, gab er seiner Überzeugung Ausdruck, dass Kirche und Staat in der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zwei eigenständige Bereiche seien, die aber zusammen und in gegenseitiger Ergänzung unsere Gesellschaft ausmachten. Sowohl dem Staat wie auch der Kirche liege das Wohl der Menschen am Herzen und die Erreichung dieses Ziels erfordere eine vielfältige Zusammenarbeit. Die Vertreter des Marktes G. demonstrierten diese Verbindung mit der Kirche unter anderem durch die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen. 1. Bürgermeister N.N. gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass die Vertreter der Kirchen seine Einladung angenommen hätten, durch ihren Besuch die Verbundenheit mit der politischen Gemeinde bekundeten und dem Marktgemeinderat einige Gedanken für die Arbeit mit auf den Weg gäben." Daraufhin luden die drei Pfarrer die Gemeinderäte ein, "der Stadt Bestes zu suchen". Und das wollen wir doch alle, oder? Was gibt es an dieser wechselseitig ausgestreckten Hand auszusetzen?
Alle arbeiten fruchtbar miteinander, bauen Kindergärten, organisieren und finanzieren Sozialstationen, erziehen die Kinder zu braven, aufgeklärten, modernen und aufgeschlossenen Bürgern - und machen das Salz fade. Verlierer ist die Kirche, denn sie darf nurmehr innerhalb der Grenzen des gesellschaftlichen guten Geschmacks agieren. Jedwede Auffälligkeit wird vermieden, Forderungen im Sinne des "Kehrt um" Jesu und des "Zieht an den neuen Menschen" des Paulus leise, ganz leise und gut verpackt geflüstert. Sünder und Heilige - keine von beiden Gruppen gibt es mehr. Weíße und schwarze Katzen - im politisch korrekten Zwielicht sind sie alle grau. Hier müsste man Leon Bloy und seine Auslegung der Gemeinplätze zitieren. Mache ich vielleicht später.

Dazu passend der neue Artikel von Mary Ann Glendon in First Things: The Hour of the Laity. Die historische und aktuelle Situation in den USA mag eine andere sein, die Diagnose stimmt auch bei uns. (Mehr von Mary Ann Glendon bei Kath.Net)

11. November 2002

Die Briefe an Freya sind eines der großen Dokumente des christlichen Widerstands gegen Hitler und seine Tyrannei. Nur gelegentlich blitzt der Glaube des Helmut James von Moltke explizit auf - bis zu den letzten Briefen vom 10. und 11. Januar 1945, den Tagen seines Prozesses und seines Todesurteils, die für ihn offensichtlich Tage der Offenbarung der Liebe und Vorsehung Gottes in seinem Leben waren.
Nur zurückhaltend und staunend, denke ich, sollten wir Passagen wie diese lesen:
"Ich habe ein wenig geweint, eben, nicht traurig, nicht wehmütig, nicht weil ich zurückmöchte, sondern vor Dankbarkeit und Erschütterung über diese Dokumentation Gottes. Uns ist es nicht gegeben, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, aberwir müssen sehr erschüttert sein, wenn wir plötzlich erkennen, daß er ein ganzes Leben hindurch am Tage als Wolke und bei Nacht als Feuersäule vor uns hergezogen ist, und daß er uns erlaubt, das plötzlich, in einem Augenblick, zu sehen. Nun kann nichts mehr geschehen."
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Sanctus Simplicius, ora pro nobis.
Auch wenn ich bisher kaum aktuelle Kommentare abgegeben habe, muss dieser doch sein: Martin Schwab vom Würzburger Katholischen Sonntagsblatt kommentiert die Revision der Skandallösungsbeschlüsse der amerikanischen Bischöfe ganz schnell einmal mit den Sätzen: "Voraussichtlich werden die Bischöfe in manchen Punkten die sehr strengen und weitgehenden Regelungen („Null-Toleranz-Politik“) präzisieren und sicher auch manche Punkte entschärfen. Doch es bleibt zu hoffen, dass sie ihre klare Linie nicht aufweichen (...) Eine gemischte Kommission aus Vertretern des Vatikans und der US-Bischofskonferenz verfasste vergangene Woche Empfehlungen zur Überarbeitung. Ein interessantes Detail am Rande: Die vier US-Bischöfe der Kommission waren als Kritiker einer allzu strengen Linie bekannt. (...) Die Beschlüsse setzen Signale weit über den Kontinent hinaus. Schließlich ist die katholische Kirche mit dem Missbrauchs-skandal auf der ganzen Welt konfrontiert. Mit der Entscheidung in Washington steht ein großes Stück kirchlicher Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Hoffen wir, dass es den Bischöfen gelingt, eine kluge Entscheidung zu treffen."

Das hoffen wir alle. Ich hoffe zusätzlich auch noch, daß katholische Multiplikatoren wie Martin Schwab die weitergehende Diskussion in den U.S. of A. nicht nur vielleicht heimlich und still zur Kenntnis nehmen, sondern daraus auch lernen, daß a) Zero-Tolerance kein Terminus technicus der Kirchenrechts ist, b) daß Opferverbände und Medien nicht das Maß für kirchliches und christliches Handeln setzen und daß c) Ursachenforschung angebracht ist.

Meine Lektüretipps: Kenneth D. Whitehead: Episcopal Oversights: The crisis in the Catholic Church extends far beyond sex scandals im ökumenischen Magazin Touchstone und die fortlaufende Chronik von Richard John Neuhaus in First Things, z.B. Seeking a better way oder die drei Teile von Scandal Time.

5. November 2002

Tröstlich, daß wir nicht allein sind. Auch nicht vor GOtt allein. Sicher vor IHM, gerade vor IHM und nur vor IHM unverwechselbar, unersetzlich, ganz wir selbst. Aber eben nicht allein.

Immer mit Jesus Christus. Immer in der Gemeinschaft mit Maria, mit den Heiligen, den großen und den kleinen, mit unseren Namenspatronen, mit unseren Freunden in Gott, mit unseren Familien und Ahnen.

Tröstlich auch, daß wir uns das nicht bewußt machen müssen - als ob wir diese Wirklichkeit erst durch unser Tun erzeugten. Sondern: Wir können eintauchen in diese Wirklichkeit, die immer und quasi "einfach so" da ist.

3. November 2002

Von Hans Urs von Balthasar gibt es einen Aufsatz zum "Schauvermögen des Christen", den ich vor langer langer Zeit einmal gelesen habe. Erschienen ist er im Buch "Mut zur Tugend" (hg. von K. Rahner und B. Welte, Freiburg: Herder, 1986).
Beim Reinblättern gelesen: »Es kann keine theologische Wahrnehmungslehre ("Ästhetik") geben ohne eine Lehre von der kämpfenden Konfrontation der Freiheiten ("Dramatik"), in der das Dunkel der in sich verschlossenen endlichen Freiheit sich - durch Gnade und eigene Anstrengung - aufbrechen läßt zum einströmenden Licht.«(S. 217f) Auf deutsch: Wer sehen will, kann. Aber nicht einfachhin, von jetzt auf nachher, so wie er einen Schalter umlegt, um Licht zu machen, sondern indem er es - durchaus schmerzhaft - lernt und gelehrt/geschenkt bekommt.
Und nochmal von Balthasar: »Man kann nicht statisch mit eigenem kritischen Blick den Gegenstand meistern wollen, ohne sich dynamisch von ihm überwältigen zu lassen." (S. 218)