5. Dezember 2003

Zuviel des Quadratisch-Praktisch-Guten! Her mit dem Antifunktional-Schönen!

Ein kundiger und ausgewogener Überblick von Alexander Kissler in der Süddeutschen Zeitung über den Zustand der katholischen Liturgie 40 Jahre nach Sacrosanctum Concilium. Nicht um ein feindliches Aug in Aug des alten und neuen Ritus (und ihrer Anhänger) geht es für ihn, sondern um beider Pflege und Wertschätzung.

"'Tut dies zu meinem Gedächtnis': Jesu Worte beim letzten Abendmahl sind das Fundament der Liturgie. Laut katholischer Lehre ist Jesus bei jeder Eucharistiefeier in den Gestalten von Blut und Wein gegenwärtig. Wo dieses Mysterium im Christus-hat-uns-alle-lieb-Gestus verplaudert wird, hat die Kirche aufgehört, Kirche zu sein. Sie wäre eine Sinnagentur mit religiöser Rhetorik geworden. Andererseits kann die tridentinische Messe nicht als einzig wahre rehabilitiert werden. Die Pius-Bruderschaft steht auch deshalb außerhalb der Gemeinschaft, weil sie auf eine Entscheidung hofft und dem heute praktizierten Ritus das Verschwinden prophezeit.

Widersinnig ist die Hoffnung der Modernisten, durch eine Umfunktionierung der Messe zum reinen Gemeinschaftserlebnis die Kirchen füllen zu können. Je ununterscheidbarer das religiöse Angebot sich gibt, desto schneller trocknet die Substanz aus, desto unattraktiver wird es. Die Form der Liturgie ist von ihrem Inhalt nicht zu trennen. Darum sollten die Kontrahenten anerkennen, dass beide Riten ihre Schönheit haben. Die Gregorianik und die lateinische Sprache sollten auch in ganz gewöhnlichen Gemeinden gepflegt werden, ohne dass diese sich den Ruch des Reaktionären zuziehen. Ein generelles Umdenken ist nötig, was die Gebetsrichtung betrifft. Zumindest während des Hochgebets ist es widersinnig, dass Priester und Gemeinde einander anstarren. Nur der gemeinsame Blick nach Osten kann Ausdruck sein der gemeinsamen Hoffnung. Würde man umgekehrt die großen Errungenschaften der Reform – die erhöhte Aufmerksamkeit für Nebenmann und Nebenfrau, Gebete in der Landessprache, die Abkehr vom esoterischen Formenkult – rückgängig machen, kehrte die Vormoderne augenblicklich in die Kirche zurück. Wenn das Vergangene geschätzt, aber nicht vergötzt wird, kann das zwecklose Spiel wieder werden, was es sein will: ein Freudenfest auf dem dunklen Grund des Todes."

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