6. Dezember 2003

Doppeldenk im Advent

Unsere Tageszeitungen gehen durch schreckliche Zeiten. Die Wirtschaftskrise läßt Abonnentenzahlen und Werbeeinnahmen gleichermaßen sinken. Das muß vor allem bei spirituell korrekten Redakteuren momentan zu wahren Gewissensqualen führen.

In meinem Heimatblatt, dem "Main-Echo", der "Unabhängigen Zeitung für Untermain und Spessart" zeigt sich das so:

Gestern endlich tauchte der lange erwartete Artikel im Lokalteil auf, der unter der Überschrift "Verkaufsschlager Weihnachten" und mittels Interview mit zwei Exponenten des heimischen Klerus den Kommerzkult anprangert. Im Kasten daneben ein sympathisierender Bericht über eine Autorenlesung im katholischen Bildungshaus Schmerlenbach. Die Titel der Lesung ("Blutige Weihnacht") und des Artikels ("Idyll als Makulatur des Bösen") verraten das Anliegen: Symbolisch aufzuschrecken und die seelischen Abgründe der Adventopfer und -täter aufgähnen zu lassen.

Heute dann ruft die gleiche Zeitung zum Wettbewerb um die "tollste Weihnachsbeleuchtung" auf, denn schließlich haben sich die "oft als Weihnachtskitsch gescholtenen" Lichterketten durchgesetzt und eine spezielle Art von Wahnsinn hervorgerufen, die ruhig im Sinne der Abonnentenwerbung gefördert werden darf - "blutige Weihnacht" hin oder her.

Die pfundweise beiliegenden Einzelhandelsprospekte fördern den vorweihnachtlichen Umsatz wohl auch nicht, indem sie kostenlos gedruckt werden, sondern indem sie uns in die Läden locken. Montags dann holen wir unsere Portion Buße ab im nächsten spitzen Kommentar über Gerenne und Gerangel.

Der Redakteur büßt derweilen - vielleicht? wahrscheinlich? hoffentlich? - für sein Doppeldenk mit Verlust der Selbstachtung, die nur durch verschärfte Ausdrucksformen von Spiritual Correctness wiedergewonnen werden kann. Auf geht's - wir lesen weiter.

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