Auch wenn ich den Großteil meiner Zeit damit verbringe, "auf die Menschen zu[zu]gehen und mitten unter den Menschen [zu] leben" (Stefan Vesper), finde ich zwischendurch ein paar Minuten, um über die Situation der Kirche in der Welt von heute, konkret in Deutschland im Jahr 2009 nachzudenken.
Was passiert da? Was steckt hinter Protest und Empörung? Welche Motive und Emotionen, welche Einsichten und Ziele treiben die Katholiken an, die z.B. die Petition Vaticanum 2 verfassen und promoten? Und was steckt hinter den Reaktionen unserer Bischöfe, den vorsichtigen, den distanziert-gezwungenen, den aggressiv-cholerischen?
Da geht es natürlich um das Konzil, um seine Interpretation und um die Zuständigkeit für diese Interpretation. Aber die Intensität des Aufstands kann das nicht erklären, jenes Zittern, das die katholische Masse und ihre Vordenker durchfährt, die Betroffenheit und Erschütterung, die Konzilsfanfaren und die Schulterschlüsse.
Doch dann las ich dieser Tage jenen Satz, für den Birgit Schrowange vor 8, 9 Jahren Prügel bezog - zu Recht:
"Es gibt Menschen, die sind so hässlich, dass sie froh sein können, sich selber nie auf der Straße zu begegnen."
Und da wusste ich: Das ist es, das erklärt es, nicht alles sicherlich, aber einen großen Teil davon.
Man mache sich klar: Da haben die deutschen Katholiken nach langer Selbstverbannung ins Ghetto endlich den Einzug in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Endlich musste man sich nicht mehr entschuldigen für das Katholischsein - und sei es nur, weil es nicht mehr auffiel durch Freitagsfasten oder Aschenfleck an der Stirn. Endlich war man, waren wir nicht mehr außen vor, sondern mitten drin. Wir hatten bewiesen, daß wir nützlich sind für Volk und Staat: politisch als gute Demokraten, wirtschaftlich als fleißige Schaffer und eifrige Konsumenten, gesellschaftlich durch das Treffen des rechten, dogmen- und moralfreien Tonfalls. (Lange her sind schließlich die Kämpfe um den § 218, beendet unter anderem durch glücklich vergessene Lehmannsche Kungelei mit den Mächtigen.)
Und nun platzt in die bundeskatholische Idylle erst der ehemalige Großinquisitor-turned-Papst, dessen Heimatbesuche man dank seines im großen und ganzen guten Benehmens unbeschadet überstand, und dann, im langen Winter 2009, die finale Zumutung, der Schrowange-Effekt: Jetzt nämlich schickte uns dieser deutsche Papst, uns Demokraten, kritische Wähler, moderne Menschen, aufgeklärte Christen, spirituelle Sucher nicht auf den Jakobsweg, sondern in einen Spießrutenlauf. Leute so häßlich, das sie besser nicht ins Tageslicht gingen mit ihren antisemitischen Fratzen, spießigen Ansichten und gegenaufklärerischen Stammbäumen - mit diesen mumifizierten Resten der überwundenen vorkonziliaren Zeit sollen wir wieder in einer Kirche sein? Sollen uns die Mägde und Knechte der deutschen Öffentlichkeit die johanneischen Fragen (Jo 18, 12-27) stellen dürfen: "Sind auch das Jünger Jesu wie ihr? Habe ich euch nicht mit ihnen gemeinsam in der Messe gesehen? Gehören diese wie ihr zur Kirche?"
Mindestens 60, wenn nicht gar 140 Jahre Integrationsarbeit mit einem Schlag dahin. Wegen dieses kleinen Häufleins frömmlerischer Selbstgerechter, das wir längst abgeschrieben hatten und die jetzt wie die proletarischen Verwandten von Familie Neureich an die Bungalowtür klopfen.
Diese Angst erschnuppere ich, ich kenne ihren Geruch gut, wiegenkatholisch wie ich bin, sie schwitzt aus den Poren der Bischöfe, der ZdK-Funktionäre, der TheologInnen, der Haupt- und Ehrenamtlichen und vieler cradle catholics, die das Vorkonzilsgetto, die katholische Provinz mit ihrer Enge und Spießigkeit erlebt haben. So wie sie sich in den 50ern für ihre unehelich geborenen Enkel schämten oder in den 60ern für die Kinder, die in die Hippie-WG zogen, so schämen sie sich heute für jene, die so sind wie sie selbst waren vor 50 Jahren.
Da hört die Toleranz auf und die Ausgrenzung beginnt: "Katholische Glatzen müssen draußen bleiben. Exkommunizierte Mißgeburten dürfen hier nicht rein. Und entschuldigen für euch tun wir uns schon mal gar nicht."
21. Februar 2009
Der Schrowange-Effekt
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9 Kommentare:
Korrekt. Aber - Gott sei Dank - ist diese Generation ja kurz vorm Aussterben. Sie haben´s geschafft, die Kirche hierzulande mit ihrem Vulgärmodernismus, auch Protestantismus light genannt, fast umzubringen. Fast. Oh, ihr Kleingläubigen respektive Lauwarmen... auch auf Bischofsstühlen und Vorsitzenden-von-Bischofskonferenzstühlen...
Übrigens... die Lateinische Messe im Institut Philip Neri in Berlin ist gut besucht - und keineswegs nur von "vorkonziliaren" Zombies, sondern vielen jungen Menschen und Kindern, denen der fade Möchtegern-hip-sein Protestantismus light in vielen NO-Gemeinden zum Halse heraushängt, und die KATHOLISCH SEIN wollen, NICHT "In".
"Gott sei Dank - ist diese Generation ja kurz vorm Aussterben."
So weit sind wir also schon, aufzuatmen das derjenige, den wir für den Gegner halten bald tot ist und dabei auch noch Gott danken. Traurig, unwürdig und - vielleicht sollten wir tatsächlich einfach nur ein Gebet sprechen und die Sache damit bewenden lassen. Die Intoleranz, Bitterkeit und Hass ist ja offenbar reichlich auf ALLEN Seiten vertreten.
Oh, ich stehe nicht an, Thomas Matterne für seinen Kommentar zu danken. Ich gehöre halt nicht zu Euch, ganz im Gegenteil. (Und dieses ewige Gebet-sprechen-wollen geht mir auch auf die Nerven.)
Dennoch habe ich das mit Erleichterung gelesen. Bei einigen der Anonym-Kommentaren hier in letzter Zeit kann ich überhaupt keinen Unterschied mehr zu krxyz.net-Geschreibsel ausmachen.
Und nur mal so aus der Außenperspektive: diese "Generation" ist nicht "kurz vor dem Aussterben", wie da einer, der offensichtlich Darwin/Dawkins sehr schön verinnerlicht hat, meint. 95 % der jungen Leute, die zu den Papst-Events, auf die Ihr so stolz seid, fahren, dürften letztlich genauso denken und allemal so fühlen und handeln wie "diese Generation".
@Thomas: Ja, ich fühle mich auch noch ziemlich lebendig, dafür weniger vulgär. Und eher verwundert als verwundet. Dem Gebet schließe ich mich an.
@anonym: Zum Aussterben sag ich bei Gelegenheit vielleicht noch was. Soo einfach ist das auch wieder nicht.
€Thomas: Ich bin ja immer fürs unparteiische Beten - also das, das die eigene Seite relativiert, das für den "eigenen Sieg" nicht oder nur bedingt betet. Und das auch in diesen ganzen Auseinandersetzungen versucht, die eigene Position vor IHM zu überprüfen.
@harki:ich nehme im allgemeinen, was kommt, und lösche die provizierendsten und beleidigendsten raus. Und kommentiere Kommentare eher selten. Das "Beten" können wir Dir leider nicht ersparen.
@alle: Mir ging es eigentlich um den Schrowange-Effekt. Irgendwelche Meinungen? --- Nein? Danke. Wegtreten. ;-)
Na, mir fällt da die ehemalige Pfarrsekretärin meiner Heimatgemeinde ein, die an Ihrem 75. das Glas erhob und fröhlich sang: "Trinkfest und arbeitsscheu, aber der Kirche treu!" Die anwesenden Silberpüdelchen konnten darüber herzhaft lachen.
Dass man vor 50 Jahren bei uns solche Sätze zu hören bekam, wenn man sich als katholisch outete, kann ich mir heute nicht mehr vorstellen, aber es war wohl so. Meine Mutter hat mir mal über den "Strich" auf dem Hof der Volksschule erzählt, den besorgte Eltern hatten anbringen lassen, um den Pausenhof zwischen Protestanten und Katholiken aufzuteilte. Dass hier in einer überwiegend protestantische Gegend der Zuzug von Katholiken nicht von der Stadt unterbunden worden war, hatte damals für Empörung gesorgt. Wohnungsbauprojekte ja, aber doch bitte für die richtigen Leute. Das hört sich an als wäre es mindestens 500 Jahre her, ist es aber nicht.
Vllt. hast Du Recht, vllt. haben wir zu viel Wert darauf gelegt, nicht aufzufallen und haben vorsorglich alle Ecken und Kanten rund geschliffen und vor lauter Dialogbereitschaft vergessen zu vermitteln, wo unser Standpunkt eigentlich ist.
Was man alles nicht hätte machen sollen, kann man jetzt breit auswalzen. Wisdom is wasted on the past. Die Frage ist doch, wie will man in Zukunft über Werte reden, die dem Großteil der Bevölkerung nicht ins Konzept passen und wie wirbt man um diejenigen, die sehr wohl katholisch sind oder sein wollen, aber einfach zu wenig Wissen und Erfahrung mit dem Glauben haben. Dabei können Bischöfe und Orgas hilfreich sein, aber eigentlich müsst Gemeinde das doch selber können, oder? Wie geht man hier mit "Rückkehrern" um? Gibt es einen Glaubensgrundkurs? Kümmert sich die Gemeinde als Ganzes darum, oder ist man froh, dass man soetwas den Pastoralreferenten überlassen kann? Sind die neuen, meist sehr missionarisch ausgerichteten, Gemeinschaften in der Gemeinde willkommen oder will man mit den "Neuen" lieber nichts zu tun haben?
zu anonym von 22.2., 10 Uhr 51
>>Die Frage ist doch, wie will man in Zukunft über Werte reden, die dem Großteil der Bevölkerung nicht ins Konzept passen<<
Das scheint mir das wesentliche Problem zu sein. Und wenn man sich dann auf die Bibel beruft, ist man ja seit neuestem Fundamentalist ...
Hierzu noch: "Sie haben´s geschafft, die Kirche hierzulande mit ihrem Vulgärmodernismus, auch Protestantismus light genannt, fast umzubringen. Fast."
@Thomas Matterne und auch Martina: Mich hätten anstatt eines Urteils über den Tonfall der Aussage und das Äußern persönlicher Betroffenheit eher deine/eure Gedanken zum Problem interessiert, dass Verbindlichkeit in der Religion erfolgreicher und attraktiver ist als Unverbindlichkeit, was empirisch mittlerweile außer Zweifel steht (auch durch religionswissenschaftliche Untersuchungen).
Ich finde das ein ganz und gar erstaunliches Phänomen!
(Und ich bin nicht Anonym von ganz oben und noch nie in einer Alten Messe gewesen, das kann ich gleich dazu sagen).
@scipio: Hast du einen Blogkarneval ausgerufen oder sowas? :-)
tut mir leid, wenn ich jemandem auf die Füße getreten bin - ich provoziere halt gern. Die Generation Vat2 ist nun einmal wie wir alle sterblich.
Toleranz mit Häresie und Lauheit? Kann ich bei Jesus nicht finden.... und nachdem vierzig Jahre lang Gift und Galle über die ausgekippt wurde, die nur einfach das sein wollten, was bis zu DEM Konzil als katholisch galt, statt sich ihre Religion von dem 1965 geborenen "Geist" neu erfinden zu lassen ist ein bischen Bitterkeit wohl nicht heiligmäßig, aber verständlich. Übrigens, Scipio - meine Äußerung WAR bezogen auf Schrowange, bzw. die so zutreffend gezeichneten "Endlich gehören wir auch dazu" Katholiken - denn darum und nur darum ging es doch beim Vat2.
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