14. Oktober 2004

Die drei Berger

Wer einen Fachkollegen als "einen Theologen sonnigsten Gemüts ohne Feinde" bezeichnet, muß sich nicht wundern, wenn er bei der nächsten Gelegenheit ebenfalls zweideutige Komplimente zurückbekommt.

Thomas Söding hat das "Jesus"-Buch von Klaus Berger für den "Christ in der Gegenwart" rezensiert. Fazit:
"Der 'Jesus' von Klaus Berger ist kein wissenschaftliches Buch. Es ist nicht für Universität und Schule geschrieben. Es ist ein Bekenntnis- und Meditationsbuch. Man kann es (ein Kompliment) wie einen neuen Jesusroman lesen, der, Umberto Eco hat es vorgemacht, weniger die Story seines Helden erzählt als die Impressionen seines Autors und die Geschichten seiner Leser. Die Teile sind mehr als das Ganze. Die Prozesse, die das Buch auslöst, sind wichtiger als die Aussagen, die es trifft. Die Provokation ist Teil der Inszenierung. Und auch, daß dies durchschaut wird, ist einkalkuliert.
'Ich möchte Menschen antworten, die fragen, ob Jesus heute noch irgendeine Bedeutung hat.' Das ganze Buch mit seinem raffinierten Arrangement dient diesem schlichten Ziel. Wie stark auch immer sich viele über die vollkommen einseitige Kritik der Ökumene ärgern werden und wie wenig man dem Lamento über die katastrophale Lage des Glaubens und der exegetischen Wissenschaft zustimmen mag - am Ende ist doch nur eines wichtig: daß viele ihre Antwort finden, indem sie einen der vielen Impulse des Buches aufgreifen und anderes einfach beiseite lassen."
Unterm Strich nicht gerade viel Lob. Impulse zum Nachdenken geben - das kann fast jeder.

Ich selber habe mich bei Berger inzwischen bis S. 200 vorgelesen - weit genug für einen ersten Eindruck. Nicht die Personen Berger I (der Fachexeget) und Berger II (der bissige Kritiker, der das Außenseitertum nicht fürchtet) haben dieses Buch geschrieben, sondern vor allem Berger III: derjenige Klaus Berger, der andere zu Jesus bringen will und der dafür sein ganzes Wissen und seinen ganzen Biss, aber auch sein Herz und sein Leben einsetzt. Ein Berger, der ganz das Zeug hätte zum volkstümlichen christlichen Autor - wenn er denn Rücksicht nähme auf das übliche Aufnahmevermögen der Zeitgenossen.

700 Seiten sind eine Menge Holz für ein religiöses Buch - umso mehr als Berger III Berger I in seine Dienste nimmt: Er gestattet ihm zwar keinen wissenschaftlichen Apparat, dafür aber ein beständiges Aufblitzen-lassen exegetischer Einsichten. Ich bin fasziniert und möchte immer weiterlesen - ermüde aber doch nach 20 Seiten: zu vieles steht da, was bedacht sein will, was sich setzen muß.

Berger II wird ebenfalls eingespannt: Er sorgt für die Leichtigkeit des Stils, die flotte Schreibe, die "flapsigen Formulierungen"(Söding) - und darf seine Lieblingsthemen einfließen lassen: den erlösungswürdigen Zustand von Kirche, Theologie und Christen; die Vorurteile der Zeitgenossen und der Exegeten als ihrer Untergruppe; harmoniesüchtige Jesus-Liberalisierer und trostsuchende Christen, die sich allzu gern mit einem weichen Double des Jesus von Nazareth begnügen.

Und was macht Berger III? Er versucht schlicht und einfach zu sehen, was ist - in einer Umschreibung Edith Steins:
"Die Sache müsse sich vielmehr selbst zeigen, wie sie in sich selbst ist. Und wenn man fragt, wer ist Gott, dann muß man so lange auf sein Wort hören, bis er selbst zu sprechen beginnt. (...) Mit der Bibel ist es fast wie mit der Eucharistie, dem Abendmahl. Unter den Gestalten von Brot und Wein ist Jesus real gegenwärtig. Ähnlich, auch ein wenig anders ist es mit der Schrift. (...) Die Bibel ist kein Konsumartikel. Sie ist nicht mühelos zu vernaschen. Sie ist, so leid es mir tut, nicht zum Nulltarif zu haben. Man muss sie leben, ihre Fremdheit aushalten und geduldig, parallel zu ihrem Gewebe, selbst ein Gewebe des Verstehens erstellen. (...) Zuletzt möchte ich sagen: Die Bibel ist schön, wie uralte Menschen sehr schön sein können."(S.29 - 32)
So seziert er nicht einen "wahren Jesus" aus Legenden, Formen, Überlieferungen, sondern stellt sich der Schrift - im Wissen um die Gegenwart Jesu hier und jetzt.

In diesem Buch gibt es keinen garstigen Graben mehr zwischen damals und jetzt, zwischen Bericht und Glauben, zwischen historischem Jesus und geglaubtem Christus, zwischen vor- und nachösterlich. Berger III beruft sich auf Berger I und seine Erkenntnisse, zur Evangeliendatierung z.B. oder zum Realitätsgehalt der Bibel. In einer Zeit, in der die kleinen Katholiken in der 7. Schulklasse schon mit einem abgestandenen Sud aus Formkritik getauft und gegen Zumutungen imprägniert werden, tut es gut, wenn ein Bibelwissenschaftler mit dieser "reflektierter Unbefangenheit" vorgeht. Und nicht schon vorab weiß, was er uns zu glauben übrig lässt.

Söding hat sich gewehrt - und andere Exegeten werden es ihm nachtun -, daß Berger einen Exegese-Popanz aufbaut, der dem aktuellen Stand des Fachs - "wir schreiben das Jahr 2004" - nicht gerecht wird. Solange aber in der kirchlichen und säkularen Öffentlichkeit mit Steinen der liberalen Theologie geworfen wird und man uns und unseren Kindern diese Steine als Brot verkauft - solange freue ich mich über den Lehm, den Berger schmeisst.

Klaus Berger hat sich in den letzten Jahren im Lager der "konservativen" Katholiken wiedergefunden - andere würden sagen: sich dorthin begeben. Welche Wirkung wird der "Jesus" dort haben? Eine befreiende - meine ich. Berger vertritt in den meisten Punkten, soweit ich es bisher sehen kann, eine orthodox-katholische Position oder schließt sie wenigstens nicht aus. Wir sehen also plötzlich: Es ist möglich, wissenschaftliche Exegese zu betreiben (und zu lesen) und nicht vom Glauben abzufallen! Und diese Exegese bereichert unseren Glauben und unser Leben. Sie ermöglicht einen Zugang zum LEbendigen, zum MEnschgewordenen, GEkreuzigten und AUferstandenen, indem sie uns durch die Zeiten zurückführt ins Dokument des Ursprungs und wir dort die schlichte Realität erkennen, die wir Christen allzu oft verkompliziert haben. Dabei stellen wir fest, daß der Jesus der Bibel und der Jesus unseres Glaubens ein und der selbe sind.

Wir stellen fest, daß wir nicht ängstlich an unseren Katechismussätzen festhalten müssen, sondern es dürfen - im Wissen, daß die Wahrheit darin noch viel größer, schöner, umgreifender ist. Eine Wahrheit, die den Reichtum biblischer Bilder, Geschichten, Briefe, Evangelien braucht, um sich auszudrücken und für uns und unsere Zeitgenossen attraktiv zu sein.

So viel für jetzt - die MiPau ist um.

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