25. März 2004

Die Wiederkehr der zwei Götter?

Sandro Magister vom italienischen L'espresso stellt die Debatte um die "Passion Christi" in den größeren Zusammenhang einer theologischen Auseinandersetzung um das richtige Verständnis der Heiligen Schrift.

Auf der einen Seite steht eine Strömung, die die Schrift von antijüdischen Tendenzen reinigen und sie deshalb nicht als "direkten Ausdruck des göttlichen Willens" (S. Ceccanti) verstanden wissen will. "Es ist klar, daß die vier Evangelisten ... eine Widerspiegelung der Gemeinschaften waren, zu denen sie gehörten. Notwendigerweise behaupteten sie ihre Identität, indem sie sich von den Juden abhoben. Doch der frühe (christliche) Glaube, der des Sohnes Gottes, konnte nicht anders als einen klaren Bruch zu vollziehen mit dem Glauben, der vom Vater auferlegt war, dem Gesetz des Moses. Dies hatte eine polemische Wirkung auf ihren Bericht von der Passion Christi."

Demgegenüber stehen Theologen wie der Päpstliche Hofprediger P. Raniero Cantalamessa und der Dominikaner Joseph Augustine Di Noia, Sekretär der Glaubenskongregation, die hier eine uralte Häresie heraushören, die des Marcion nämlich:

"M. fixierte seine Lehren in den 'Antithesen', die lediglich fragmentarisch überliefert sind. In ihnen machte er den Gegensatz von Alten und Neuem Testament thematisch. Das alte Testament wird verworfen, weil es einen zürnenden, gerechten, letztlich 'bösen' Gott (den Schöpfergott, Demiurgen) verkünde, der mit dem neutestamentlichen Gott der Liebe nichts gemein habe. Christus, der diesen Gott der Liebe verkündete, habe durch sein Leiden in einem zum Schein angenommenen Leibe (Doketismus) aus der Macht des Demiurgen befreit. Die Ablehnung des Schöpfergottes führte bei den Marcioniten zu einer weltflüchtigen Askese, die sich u. a. in der Ablehnung der Ehe äußerte. Die Zurückweisung des Alten Testamentes war zwangsläufig Antrieb, auch die neutestamentliche Überlieferung von allen Judaismen zu reinigen. M.s Bemühungen in dieser Hinsicht forcierten die Diskussionen um die 'Kanonbildung' und erzwangen dezidierte Stellungnahmen seitens der Großkirche. Das gereinigte Neue Testament M.s enthält neben dem gekürzten Lukasevangelium nur die Paulusbriefe (mit Ausnahme der Pastoralbriefe und des Hebräerbriefs)." (Art. Marcion des Bio-Bibliographischen Kirchenlexikons)

Auch im deutschen Kirchenalltag lässt sich ein ähnliches Phänomen beobachten: Um Jesus als den befreienden Heiler, als den zärtlichen Menschenfreund zu sehen, wird oft ein derart absoluter Gegensatz zwischen jüdischer Gesetzesfrömmigkeit und christlicher Freiheit vom Gesetz konstruiert, daß Marcion tatsächlich um die Ecke lugt. Konsequent wird der vom Konzil reich gedeckte "Tisch des Wortes" Sonntags wieder leer geräumt von der alttestamentlichen Lesung, die nicht ins zeitgemäße Weltbild passt in ihrer Partikularität, ihrem Eifer für das Gesetz und den eifernden Gott Israels.

(Den Text der von Magister angesprochenen Predigt P. Cantalamessas gibt es in einer englischen Version.)

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