13. Februar 2010

Kirchenpolitik per Skandalmanagement

Patrick Bahners im Leitkommentar der FAZ von heute (und im faz.net) über P. Klaus Mertes als geschickten Presse-Profi, der sich die Gelegenheit nicht entgehen lässt, den Skandal kirchenpolitisch zu instrumentalisieren. (Auch für den, der Mertesschem Politiktreiben nicht zustimmt oder das Mantra vom "offenen Austausch" über eigene und damit ja auch fremde Sexualität nicht vor sich hinmurmelt, bleibt dennoch genug zu bedenken.)

"Der Rektor des Canisius-Kollegs hat seine Bitte um Vergebung und sein Versprechen rücksichtsloser Aufklärung und Ursachenforschung mit maßloser Polemik gegen die kirchliche Lehre und die kirchlichen Autoritäten verknüpft. Ihn interessiert nicht das Motiv des einzelnen Täters, sondern „das vertuschende System“. Dieses System, das „Interessen hat und Ängste“ und deshalb von Mertes der kollektiven Mittäterschaft an der sexuellen Belästigung im Canisius-Kolleg bezichtigt wird, ist größer als das Lehrerkollegium, die Ordensprovinz oder die Gesellschaft Jesu. Es ist die Kirche, mit ihrer Sexualmoral und ihrer Bürokratie.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat 2002 Leitlinien „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“ beschlossen. Nach Meinung von Mertes setzt das Verfahren, das gemäß Vorgaben der damals von Kardinal Ratzinger geleiteten Glaubenskongregation geschaffen wurde, die Praxis der systematischen Vertuschung fort. Mertes nimmt an der Unschuldsvermutung Anstoß. Er suggeriert, ein Bischof müsse einem Opfer, das sich ihm stammelnd offenbare, entgegenhalten, für die Kirche gelte der Beschuldigte als unschuldig. Das ist eine böse Verzeichnung. Die Unschuldsvermutung ist eine Minimalanforderung an jedes gerechte Verfahren, auch im kirchlichen Strafrecht. Ihre Beachtung verlangt keineswegs einen ausdrücklichen Vorbehalt gegenüber einer Zeugenaussage.

(...)

Und wenn Mertes das freie Reden über Intimitäten zur Heilung der Sprachlosigkeit gegenüber den Opfern empfiehlt, so ist der Fall des Paters, der seine Zöglinge zur Offenbarung intimer Gewohnheiten genötigt haben soll, wenigstens als historisches Exempel instruktiv: In zwanglosen Nachmittagssitzungen wurde gemäß dem Geist der Zeit ein freizügiges Reden eingeübt, das dann im Privatissimum in die Travestie eines Beichtgesprächs überführt wurde.

(...)

In jeder Lebensform steckt als Möglichkeit auch ihre Pervertierung. In einer bemerkenswerten Predigt hat der Jesuitenpater Martin Löwenstein, Pfarrer am „kleinen Michel“ in Hamburg, Gedanken über die Kultur formuliert, die den Missbrauch möglich gemacht hat. Als Beispiel nennt er das Ausforschen in der Beichte: Die Routine dieses Übergreifens in die Intimsphäre habe denen einen „kulturellen Schutzraum“ geboten, „die dann im körperlichen Bereich in den verletzlichen Raum anderer Menschen eingedrungen sind“. Solchen Fragen nach den Nachtseiten der eigenen pädagogischen Tradition, nach den psychischen Kosten der asketischen Disziplin wird die Selbstprüfung der Katholiken nachgehen, die der Canisius-Skandal anstoßen sollte."

2 Kommentare:

Benedikt hat gesagt…

Wenn man sich überlegt, dass zum einen die Missbrauchsfälle dem Orden schon seit vielen Jahren bekannt waren und zum anderen besagter Pater Mertes soeben ein Buch veröffentlicht hat, das einer "kritischen Loyalität" gegenüber der Kirche das Wort redet, so wirft das ein sehr unangenehmes Licht auf P. Mertes.

Anonym hat gesagt…

Vor allem, wenn man weiß, dass besagtes Pamphlet ein Musterbeispiel für Manipulation ist, weil die Kriterien für legitime Kritik an keiner Stelle offengelegt werden und stattdessen schamlos an antikirchliche Ressentiments appeliert wird. Denn dass es durchaus "Kritik aus Loyalität" gibt, werden am wenigsten diejenigen bestreiten, die beispielsweise die Königsteiner Erklärung für suboptimal halten.