21. August 2006

Ironie der Vorsehung

Bei der Relektüre der "Einführung in das Christentum" fielen mir die folgenden Sätze des 41jährigen Joseph Ratzinger auf, in denen er auf die Ablösung der antiken Religion durch das junge Christentum eingeht:
"Die [antike] Religion geht nicht den Weg des Logos, sondern verharrt bei dem als wirklichkeitslos durchschauten Mythos. Damit war ihr Untergang unvermeidlich; er folgte aus der Abtrennung von der Wahrheit, die dazu führte, daß sie als bloße 'institutio vitae', das heißt als bloße Lebenseinrichtung und Form der Lebensgestaltung, angesehen wurde. Dieser Situation gegenüber hat Tertullian in einem großartig kühnen Wort mit Nachdruck die christliche Position beschrieben, wenn er sagt: 'Christus hat sich die Wahrheit genannt, nicht die Gewohnheit.' Ich glaube, daß dies einer der wirklich großen Sätze der Väter-Theologie ist. Der Kampf der frühen Kirche und die bleibende Aufgabe, die dem christlichen Glauben gestellt ist, wenn er er selbst bleiben will, ist darin in einzigartiger Dichte zusammengefaßt. (...) Das Christentum hat sich damit entschlossen auf die Seite der Wahrheit gestellt und sich so von einer Vorstellung von Religion abgewandt, die sich damit begnügt, zeremonielle Gestalt zu sein, der man schließlich auf dem Weg der Interpretation auch irgendeinen Sinn beilegen kann."
Es ist schon eine seltsame Ironie der Geschichte und der in ihr waltenden Vorsehung, daß gut anderthalb Jahrtausende später das Gewohnheitschristentum des allerchristlichsten Kontinents zusammenbricht - jedenfalls dort, wo es nur noch als "bloße Lebenseinrichtung und Form der Lebensgestaltung" angesehen wird.

Aktuelle Zahlen kommen von der ältesten Tochter Roms und lassen sich in der Tagespost nachlesen.

Grund zur Depression sollte das keiner sein: Sonst hätte die Handvoll Apostel gar nicht erst anfangen brauchen mit der Weltmission. In Frankreich gab es damals vergleichsweise weniger Christen als 2006, von der Wildnis jenseits des Rheins einmal ganz zu schweigen. Gut, daß die Vorgänger des Erzbischofs von Lille damals "den Begriff der Begriff der religiösen Praxis" ziemlich "eng" fassten und die "anonymen Christen" mit der gekreuzigten und auferstandenen Wahrheit konfrontierten statt sie in Ruhe ihren Baumgöttinnen und Hausgeistern opfern und die üblichen guten Werke tun zu lassen.

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