17. November 2005

Zuschauer oder Teilnehmer?

Aus Eamon Duffys Buch "The Stripping of the Altars", einer minutiösen Analyse von Volksfrömmigkeit und -religion in England zwischen 1400 und 1580, also dem Jahrhundert vor der Reformation bis zum Beginn der elisabethanischen Zeit, genauerhin aus dem Kapitel "Zuschauer oder Teilnehmer? Laienreligion und die Messe":

"Bis zu welchem Grad war die Einbeziehung der Laien in diesen heiligsten und zentralsten Ritus der Christenheit eine passive oder entfremdende?

Jeder Versuch, diese Frage zu beantworten, muß mit der Erkenntnis beginnen, daß die Laienschaft die Messe auf viele Arten und unter verschiedenen Umständen erlebte. Der Pfarrgottesdienst wurde tatsächlich am Hochaltar gefeiert, und dieser Altar war sogar von den nächsten Gliedern der Gemeinde oft weit entfernt und teilweise vom Lettner verdeckt. In einigen der großen Pfarrkirchen, wie St. Margaret's in Lynn, oder St. Peter in Walpole, dürften die Pfarrmitglieder außer der Hörweite all dessen gewesen sein, was am Altar nicht gesungen, sondern gesprochen wurde. Überdies wurde während der Fastenzeit im Altarraum ein riesiges Tuch heruntergelassen, bis einen Fußbreit über dem Boden, das an Werktagen den Blick der Laienschaft auf den Zelebranten und die Wandlung vollkommen versperrte.

Wir müssen jedoch begreifen, daß sowohl Lettner wie Tuch Erscheinungsformen eines komplexen und dynamischen Verständnisses der Funktion von Ferne und Nähe, von Verbergen und Enthüllung in der Erfahrung der Liturgie waren. Sowohl Lettner wie Tuch waren Barrieren, die innerhalb der Kirche die Grenzen zwischen dem Bereich des Volkes und dem Allerheiligsten markierten, jenem heiligen Bereich, innerhalb dessen das Wunder der Transsubstantiation erwirkt wurde, oder - im Fall des Tuches - zwischen verschiedenen Arten von Zeit, der festlichen und der in Buße verbrachten. Das Tuch war genau dazu da, als befristeter ritueller Entzug des Blicks auf die Wandlung zu fungieren. Seine symbolische Wirksamkeit leitete sich von der Tatsache ab, daß es eine Zeitlang etwas verdeckte, was sonst zugänglich war; in diesem Prozess erhöhte es den Wert des Schauspiel, das es zeitweilig verhüllte.

Der Lettner selber war Barriere und nicht Barriere. Er war keine Wand, sondern eine Reihe von Fenstern, ein Rahmen für das liturgische Drama, nur bis in Hüfthöhe massiv, durchbrochen von einer Tür, breit genug, um Pfarrer und Chor hindurchzulassen, einer Tür, durch die auch die Laienschaft selber zu bestimmten Gelegenheiten eintreten durfte, z.B. wenn sie sich, wie in Eye an Hochfesten, mit Fackeln versammelte, um das Sakrament zu ehren, zu Prozessionen wie der an Lichtmeß, und zu den Zeremonien und Betrachtungen, die mit dem Ostergrab verbunden waren." (S. 111f)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Scipio, geht der Autor auch auf die Parallele des westlichen Lettners zur östlichen Ikonostase ein?

Scipio hat gesagt…

Nein, überhaupt nicht, obwohl bestimmt eine ganze Menge Parallelen zu ziehen wären. Aber es geht ihm einmal um die tiefe Verwurzelung des Glaubens "der Leute" in der Liturgie, um die - man würde heute sagen - kreative Aneignung und Ausübung dieses Glaubens und darum, die Vorurteile zu widerlegen, daß der Katholizismus (Englands) eh eine todgeweihte Religion gewesen sei. Im zweiten Teil nimmt er sich die Umsetzung der reformatorischen Agenda in England vor - die von oben durchgedrückt wurde, gegen den hartnäckigen und Jahrzehnte währenden Widerstand des Kirchenvolks. Theologie betreibt er mehr am Rand oder besser: streut Brocken aus, die die Theologen interessieren könnten und müssten.