8. November 2005

Liturgischer Showdown am Untermain

Wie gewünscht, hier ein Bericht über "Martin Mosebach beim Montagsforum Miltenberg"...

Meinen persönlichen Höhepunkt erlebte ich noch vor dem offiziellen Beginn, als ich einen uralten und ewig nicht getroffenen Freund wiedersah. Das muß aber meine Leser nicht interessieren, obwohl es für mich wichtiger war als die zwei folgenden Stunden.

Das ehemalige Refektorium des Franziskaner-Klosters war gut zur Hälfte mit Zuhörern gefüllt – alle über 40, die meisten über 60, viele wahrscheinlich liturgisch aktiv und Stützen ihrer jeweiligen Gemeinden. Martin Mosebach begann mit einer Lesung aus der „Häresie der Formlosigkeit“: Das Kapitel "Braucht die Kirche eine Liturgie" (als zip-File hier) trug er lebendig, drängend, ohne Verschnaufpause und ohne Schluck Wasser vor. Ob ihm die Zuhörer durchgehend folgen konnten? Mir machte es wenig Mühe, ich kannte den Text ja. Aber ein großer Teil der Anwesenden musste wohl hinterher eilen – was sicher auf Kosten der Feinheiten und der Ironie des Textes ging. Die wichtigen Stichworte blieben allerdings hängen, wie sich nach 40 Minuten zeigen sollte, als Mosebach zu Fragen einlud.

Nach langsamem Beginn wurde es schnell, sehr schnell emotional und heftig, in einem Maß, wie ich es nicht erwartet hätte. Kein bloßes Unverständnis, sondern richtig gehende Empörung war zu spüren. Nicht lange und das F-Wort tauchte in durchaus aggressiven Fragen auf.

Ich weiß nicht, ob Martin Mosebach mit diesem Gegenwind gerechnet hatte. Jedenfalls reagierte er kühl und wenig entgegenkommend, spitzte seine Formulierungen weiter zu, zitierte Bibel, Kardinal Ratzinger und den Katechismus, griff die Umsetzung des Ritus Pauls VI. frontal an. Hätte er nur Mißbräuche in der Praxis des "novus ordo" angegriffen, nur die Wiederzulassung des "gregorianischen Ritus" gefordert – "Nun gut", hätte das Publikum gesagt, "ein Sonderling aus einer kleinen Gruppe von Sonderlingen. Lassen wir ihn in Ruhe!" Doch den Gefallen tat Mosebach ihm nicht.

Einen "Dialog" gab es nicht, bis auf wenige, kurze Momente, die vom nächsten Scharmützel beendet wurden. Beide Seiten, der Schriftsteller am Lesepult und sein verärgertes Publikum, gaben sich gegenseitig die Schuld und gingen nach knapp zwei Stunden auseinander – zurück auf Los, bis zum nächsten Mal, an einem anderen Ort, in einem ähnlichen Setting. „Das gab es noch nie, daß ein Referent keinen Beifall bekam“, meinte ein regelmäßiger Montagsforum-Geher.

"Wie konnten die den einladen! Das darf nie mehr passieren! Ich gehe nach vorne zum Bildungsreferenten!" Die aufgebrachte Dame sagte und tat es. Yours truly dachte sich: "So viel zum Thema innerkirchliche Toleranz und innerkatholischer Pluralismus!"

Daß beide Seiten simultan zeigten, wie zentral die Liturgie für die Kirche ist – ein schwacher Trost, wenn sich gleichzeitig offenbart, wie groß die Kluft zwischen liberalem Mainstream und traditionell-traditionalistischem Flügel schon geworden ist. Der "spirituelle" Flügel der deutschen Kirche hätte vielleicht vermitteln können. Vielleicht.

Man hätte vielleicht voneinander lernen können: Daß die Liturgiereform nicht an allem schuld ist zum Beispiel, oder daß nicht nur Feingeister und Fundamentalisten den "alten Ritus" hochschätzen, sondern auch Gottsucher und solche, die ihre nachkonziliare Sozialisierung nicht ablegen können und wollen.

Man hätte vielleicht fragen können, ob die Betonung des nicht-Gemachten, sondern Unverfügbaren der Liturgie nicht in einer skeptischen Anthropologie wurzelt, die der (eigenen und fremden) Gutwilligkeit und Authentizität gründlich, zu gründlich? mißtraut, oder ob leichthinnige Verständlichkeit das Mysterium GOtt nicht auf Menschenmaß stutzt, statt sich IHm vorsichtig, zaudernd, still zu nähern: Wie Mose ohne Schuhe, wie die geheilten Bettler auf Knien?

Verschnauft haben mein Freund und ich beim abschließenden Schoppen im Riesen. Unter dem geduldigen, zornigen, liebenden Auge GOttes. Prost.

3 Kommentare:

mr94 hat gesagt…

Danke.

Ich bin sprachlos.

mr94 hat gesagt…

Mein Ende Oktober bestelltes Exemplar der Häresie der Formlosigkeit ist übrigens heute auf den Versandweg gegangen. Quel coincidence!

Anonym hat gesagt…

Vor etwa zwei Jahren habe ich M. Mosebach zum gleichn Thema an der Uni Eichstädt gehört. Der Leiter der Veranstaltung hatte damals keine Diskussion zugelassen, nur kurze Fragen. Er wußte wohl warum....

Pfr. Georg Alois Oblinger