25. Juli 2005

London

Am frühen Donnerstag nachmittag standen meine Frau und ich mit den für den Heimflug gepackten Koffern in der U-Bahn-Station Kensington High Street. Eine Lautsprecherdurchsage, ein Handvoll netter Aufsichtsbeamter, etwas siebzig ruhige und gefasste Passagiere - und die Station war in fünf Minuten geräumt. Ein paar Minuten später hatte die Polizei alles abgesperrt, und das Leben ging draußen auf der High Street weiter wie zuvor. Die Gelassenheit der Londoner und der Besucher der Stadt begleitete uns im Bus zur Paddington Station und dann weiter im Heathrow Express - aber da wusste wohl auch noch niemand, daß um ein Haar vier weitere Bomben hochgegangen wären.

In den Tagen zuvor hatten wir London lebhaft und entspannt erlebt, und internationaler als ich es von früheren Besuchen kannte. Multikulti in Reinform, symbolisiert in den Tschador-verhüllten Frauen, die mitsamt ihren Kindern bei Harrods einen Großeinkauf tätigten.

Nicht nur bei Harrods, sondern fast überall, in Kneipen, Bussen, Kirchen, Cafés: CCTV - Überwachungskameras. Man fühlt sich in London nicht nur nicht allein - das ist sowieso fast unmöglich -, sondern auch gesehen, beobachtet. Und hofft, daß sich die Übeltäter der verschiedenen Sorten genau so fühlen.

Britische Institutionen bröckeln: In den Tante Emmas an den Straßenecken gibt es einen Regalmeter mit Kaffees, aber keinen losen Tee. Gut sortierte Weinläden scheinen zu blühen, aber britisches Markenbier ist außerhalb der Pubs Mangelware.

Meiner Frau wollte ich eine der großen Attraktionen Londons zeigen: Foyles in der Charing Cross Road, den Archetyp eines Buchladens schlechthin. 2005 gibt es dort immer noch so ziemlich jedes englischsprachige Buch der Welt, allerdings in einer generalüberholten, hellen, sauberen Umgebung und ohne die Leichen der von umgestürzten Stapeln erschlagenen und mumifizierten Kunden - die waren wohl seit meinem letzten Besuch von den Heerscharen der neuerdings motivierten und kundigen Verkäufer bestattet worden.

Das aktuelle "Book of Common Reading" war natürlich Harry Potter - für die heimlichen Leser gibt es eine Ausgabe mit dezent dunkel gehaltenem Umschlagbild, die nicht so auffällt wie die grellen, blau-grün-gelben Farben der Standard Version. Yours Truly suchte sich stattdessen eine signierte Ausgabe von "The Big Over Easy", einer neuen "Nursery Crime Investigation" von Jasper Fforde.

Zu unernst, zu belanglos all das in Tagen des Terrors? Aus der sicheren (?) Ferne denke ich, daß zum Standhalten auch das schlichte Weitermachen gehört. Das Ziel der Attentäter ist nicht der Tod möglichst vieler Menschen. Es geht ihnen darum, das einigermaßen friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen, Völker, Religionen, Weltanschauungen auf dem engen Raum der Kosmopolis zu stören und zu zerstören, Mißtrauen zu säen und Gewalt auf die Straßen zu bringen. Nur wenn ihnen das gelänge, wären sie erfolgreich. Bis zum vergangenen Donnerstag waren sie jedenfalls gescheitert.

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