22. März 2007

Generation Anpassung

Ich habe in den letzten Tagen nach einer Diskussion im trauten Familienkreis über die Generation deutscher Katholiken nachgedacht, die jetzt zwischen 55 und 75 Jahre alt sind: Geboren während des Krieges oder in den ersten Jahren danach, oft in kleinbürgerlichen Verhältnissen, dem "katholischen Milieu" (C. Amery), im "katholischen Mief", wie es Grass nennt. Für sie, merke ich, war es ein Riesenereignis, die größte Errungenschaft der jüngeren Kirchengeschichte, als Katholiken nicht mehr am Rand der Gesellschaft zu stehen, sondern endlich akzeptiert zu sein und zur gesellschaftstragenden Schicht zu gehören, das katholische Getto zu verlassen, in dem ihre Eltern - und sie selbst in der Kindheit - noch gefangen waren, nicht ausgegrenzt zu sein, nicht aufzufallen, sondern als Katholiken endlich dazu zu gehören, mitten drin dabei zu sein.

Es ist diese Generation, die das Konzil als Befreiung erlebt hat: endlich die Kirchenfenster aufreißen und die frische Luft aus der Welt hereinlassen; endlich keine Gebote und Verbote mehr, die uns vom Rest der Welt absondern und unterscheidbar machen; endlich keine besonderen Essgewohnheiten oder auffällige Kleidung mehr; endlich keine Dogmen, die dem Augenschein, dem Fortschritt, der Wissenschaft widersprechen. Endlich mit oberhirtlichem Einverständnis alles teilen, was an Freude und Hoffnung, Trauer und Angst in der modernen, aufgeklärten Menschheit erlebt wird.

Es sind die Priester aus dieser Generation, die in den grau melierten Strickwesten und einfarbigen Hemden daher kommen. Es sind die Laienvertreter aus dieser Generation, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, wenn die Kirche um der "Klarheit des Zeugnisses" willen keine Abtreibungsberechtigungsscheine, pardon: Beratungsbescheinigungen mehr ausstellen will. Es sind Gottesdienstbesucher aus dieser Generation, denen ein Gottesdienst nicht "verständlich" genug sein kann. Es ist diese Generation, die noch in einer katholisch geprägten Lebenswelt groß geworden ist, die darum gekämpft hat, diese katholische Subkultur an die bundesdeutsche Mainstreamkultur anzudocken, die (vor allem) in den C-Parteien politische Verantwortung übernahm - und jetzt soll sie akzeptieren, daß plötzlich manches umsonst gewesen sein soll.

Wer dafür gekämpft hat, ununterscheidbar zu werden - wie soll der verstehen können oder verstehen wollen, daß er mit dieser Anpassung nicht nur gewonnen, sondern auch einiges verloren und aufgegeben hat? Wer den Deal mit der säkularen Gesellschaft eingegangen ist - wie soll der sein Lebenswerk im Rentenalter für gescheitert erklären und erkennen, daß die Hauptstadt des Reiches Gottes nicht in Bonn oder Berlin liegt und seine Zentralorgane nicht das ZDF oder der Bundestag sind?

Das "gesunde, gelassene Selbstbewusstsein", zu dem Andreas Batlogg[pdf] in den Stimmen der Zeit ermutigt, es sollte vor allem nicht mehr auf das gnädige Nicken der Gesellschaft und ihrer Öffentlichkeit schielen; Musterschüler tun sich mit dem Selbstbewußtsein in der Regel schwerer als die Trotzbengel, die darauf beharren: "Nein, Eure Suppe ess ich nicht!"

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ja, die von dir beschriebene Generation hält sehr an den erkämpften Errungenschaften fest. Ich kann es ihnen nicht verübeln- wir wissen- denke ich- nicht wie es so genau vor dem 2. Vat. war. Sicher ist auch viel verloren gegangen, aber nach der von dir beschriebenen Generation kommt ja schon die nächste und an der liegt es dann, ob das, was die vorherige Generation verloren hat, wieder gewonnen wird. Und das liegt in unser aller Verantwortung.

Scipio hat gesagt…

Als jemand, der der Generation danach angehört: Nach der Generation Anpassung kommen inzwischen noch mindestens zwei andere. Für meine habe ich (noch) keinen Namen, die andere ist wohl die Generation JPII...

(Wobei es mit diesen Generationseinteilungen so eine Sache ist...)

Anonym hat gesagt…

Kleine technische Bitte am Rande: Könntest du's kennzeichnen, wenn du auf Dokumente verlinkst, die keine Webseiten sind, also z.B. "Andreas Batlogg [PDF]"?

Anonym hat gesagt…

Ich habe da auch so meine Schwierigkeiten mit den genauen Einteilungen, und die nach JPII dürfte ja die in den Medien verkündete Generation Benedikt sein. Solche Einteilungen dienen ja immer dazu, dass man sich hilft etwas, was man nicht so genau beschreiben kann, einzuteilen. Aber, wenn wir schon mal erkennen, dass Menschen nun mal bestimmten geschichtlichen Prägungen ausgesetzt sind und waren, hilft es einen ihre Haltung zumindest nachzuvollziehen.
Hinterher ist es immer einfach zu sagen, das war schlecht und das hätte man nicht tun sollen. Zur lebendigen Kirche (zu der ja alle gehören), die sich auf dem Weg zur Vollendung befindet,gehören ab und an auch Irrtümer, Missverständnisse, dass man Umwege macht usw.

Anonym hat gesagt…

Ist es heute wirklich möglich als (praktizierender) Katholik angepasst zu leben? Die im Artikel genannte "Generation Anpassung" hat sich der Gesellschaft der 50er und 60er angepasst, welche noch relativ konservativ und bürgerlich geprägt war. Die Ankopplung an die damalige Gesellschaft war also durchaus gut möglich. Inzwischen ist es zu einer Vielzahl von Umbrüchen in der Gesellschaft gekommen (Individualisierung, freie Liebe, neue Lebensentwürfe...).
Kurz gesagt: praktische Katholiken sind mit dieser neuen Gesellschaft weit weniger kompatibel - das betrifft auch die Generation 50+.

Meine Prognose: In Zukunft wird in der Gesellschaft ein rauerer Wind für Katholiken wehen. Sicherlich, man kann dies negativ als eine Marginalisierung der Katholiken in der Gesellschaft sehen. Meiner Ansicht nach, bietet diese Kluft zwischen Gesellschaft und Katholiken aber die Möglichkeit, sich auf Inhalte und Werte des eigenen Glaubens rückzubesinnen. Man ist nicht mehr einfach nur aufgrund des Elternhauses Katholik, sondern wird sich für den Glauben entscheiden müssen und gezwungen sein, ihn Tag für Tag in der nicht-katholischen Gesellschaft zu leben. Für mich ist dies eine große Chance, aus der Behäbigkeit des angepassten Katholiken-Daseins in ein lebendigeres und unmittelbareres katholisches Leben zu wandern. Von solchen Katholiken wird auch, vielleicht sogar am meisten, die nicht-katholische Gesellschaft profitieren.

Anonym hat gesagt…

Wenn ich hier so einiges durchlese, frage ich mich warum es so klingt als sein es nicht möglich Katholik, nein, praktizierender Katholik zu sein und gleichzeitig Mitglied der umgebenden Gesellschaft. Ich glaube mein grundlegendes Problem ist hier, und das betrifft auch die Einteilungen in diverse Generationen, dass das Gesamtbild viel zu differenziert ist, als das man es so einfach einteilen kann. Ich z.B. wäre rein zeitlich ein klassisches Mitglied der Generation JPII, ich käme allerdings nicht auf die Idee mich wirklich so zu sehen. Im Bezug auf die Gesellschaft meine ich damit, dass sie differenziert genug ist um auch Katholiken als einen ihrer Bestandteile zu integrieren. Und umgekehrt ist es kein Problem seinen Glauben zu leben und trotzdem Mitglied der Gesellschaft zu sein. Inwieweit beides von einander profitiert, profitieren will, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Manchmal ist eine Verschmelzung möglich, manchmal bleibt man besser für sich.

Scipio hat gesagt…

@ Thomas: "Generation" ist für mich ein Hilfsbegriff, um das Phänomen der Anpassung besser greifen zu können.

Es geht auch nicht darum, ob ein Christ Mitglied der Gesellschaft ist, sondern um die Mentalität, die bei der von mir angesprochenen Generation im deutschen Katholizismus prägend ist. Und hier sehe ich es so, daß nach Bismarckschem Kulturkampf, ungeliebter Weimarer Republik, heidnisch-rasendem Nationalsozialismus die Katholiken endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen: Nicht nur notgedrungen staatstragend wie in Weimar, sondern so, daß man die Bonner Republik durchaus als ihr Werk sehen kann: Es waren junge Katholiken, die nach dem Krieg mitgestalten wollten und mitgestaltet haben, auf allen Ebenen der Politik übrigens.

Aber es ist genau diese Verpflichtung gegenüber dem, was man da mitgebaut hat, die es einer Rita Waschbüsch, einem Hans Maier, einer Barbara Stamm so schwer machen, "Bis hierher und nicht weiter!" zu sagen. Denn damit würde das Reiz- und Spaltthema der Abtreibung wieder auf die Agenda gesetzt, von der man es nach langem HIn und Her und mit Zudrücken beider Augen endlich gestrichen hatte. Man würde wieder in die Getto- und Muffecke gestellt, aus der man gerade und endlich entkommen war.

Dieser Generation bereitet das mehr Unbehagen als Dir oder mir - oder den Jungen nach uns: Wir sind es gewöhnt, zur "kognitiven Minderheit" zu gehören - die vor uns nicht unbedingt, jedenfalls ist ihnen das nicht seit Jahren in Fleisch und Blut übergegangen.